Filme über die Varianten des Elends, die im Alter auftreten können, schaue ich mir gerne an. Ich möchte gefasst sein, wenn es mich trifft, und nicht mehr als nötig meiner Umwelt zur Last fallen. Dass gerade dieser Wunsch und die damit einher gehende Ablehnung in die Krise führen kann, zeigt der mehrfach ausgezeichnete Film „Das große Versprechen“. Zum Inhalt zitiere ich mal aus dem filmischen Klappentext der Mediathek:
„Juditha und Erik blicken auf eine lange Ehe mit den üblichen Höhen und Tiefen zurück. Nach der Pensionierung von Erik soll der gemeinsame Lebensabend folgen. Doch das alltägliche Leben fällt beiden schwer. Juditha ist an Multipler Sklerose erkrankt und die Krankheit schreitet immer weiter fort. Die körperlichen Einschränkungen sind nur ein Teil des Problems, vor allem kann und will Juditha ihren Zustand und die damit verbundene Abhängigkeit nicht akzeptieren. Erik reagiert auf Judithas Krankheit mit Abwesenheit und flüchtet sich in seine Projekte. Aus der geplanten Zweisamkeit wird Einsamkeit.“
Zu Beginn des Films liegen die beiden noch im Bett und schmusen, Juditha macht Scherze über Erik, den nun „alten Mann“, der jedoch deutlich fitter ist als sie, die bereits am Stock geht. Dennoch besteht sie darauf, für ihn Kaffe zu machen, sogar später noch, im Rollstuhl sitzend. Das Drama entwickelt sich zügig, als Erik pensioniert wird und nun nicht etwa ganztags neben ihr sitzt, sondern sich als Experte für Gutachten bewirbt und auch gerne mal raus geht. Weil seine Bewerbungen abgeleht werden, beginnt er sogar ein Studium in einem Fach, das ihn schon immer interessiert hat. Dennoch kümmert er sich um Juditha, die im Alltag immer weniger zurecht kommt, aber Hilfsangebote ablehnt und nicht mal zum Arzt geht. Die üblichen Therapien, Tabletten und Physiotherapie lehnt sie ab: „Das bringt doch alles nichts“.
Man sieht, wie ihre Krankheit fortschreitet und wie mühsam sie sich morgens aus dem Bett in den Rollstuhl wuchtet. Mit einer Art Greifer holt sie Töpfe aus dem oberen Fach des Küchenschranks und Briefe aus dem Briefkasten vor dem Haus. Als er die Küchenschränke so umbauen will, dass sie elektrisch herunter fahren, lehnt Juditha den Plan erbost ab: Dann bekommt die Tochter das Haus ja voll mit Dingen, die sie gar nicht braucht! Dass sie selbst lange schon vieles braucht, mag sie nicht akzeptieren, wird aggressiv und depressiv, sitzt nurmehr am Fenster und beobachet die Vögel im Garten. Eine von ihm bestellte Pflegerin vergrault sie sofort, die Vorschläge der Tochter lehnt sie ab – und während sie immer unbeweglicher wird, geht es auch Eric immer schlechter: Herzrasen, Panikattacken, der Arzt warnt ihn, er müssse mehr für sich tun, es drohe ein Herzinfarkt.
In Vorwurf und Elend verbissen
Während das Elend der beiden sich im Film immer mehr zuspitzte, wurde ich immer ärgerlicher – auf Juditha, nicht auf Eric. Anstatt die angebotenen Hilfen zu nutzen, verbeisst sie sich in ihre Vorwurfshaltung gegenüber Eric. Der exmatrikuliert sich zwar ihr zu Liebe, aber das macht auch nichts mehr besser, weil sie nichts anderes zu wollen scheint, als am Fenster zu sitzen und den Vögeln zuzusehen. Schon ein Spaziergang (mit Rollstuhl), den er anregt, empfindet sie sichtlich als Zumutung. Am Ende schickt sie ihn weg („Kann dich nicht mehr ertragen“) und landet nach diversen Unfällen und Stürzen im Pflegeheim, wo sie zu den Pflegenden auch nicht freundlicher ist.
In verschiedenen Rezensionen zum Film wird das Ganze als „Kampf um Selbstbestimmung“ dargestellt. Für mich ist es eher die Geschichte einer uneinsichtigen alten Frau, die sich mutwillig selbst beschädigt, um bloß keine Hilfe von Anderen annehmen zu müssen – und damit katastrophal scheitert. Sogar wenn er ihr vom einen in den anderen Rollstuhl helfen will, besteht sie darauf, das – mehr schlecht als recht – mühsam selbst zu schaffen, was allerdings irgendwann nicht mehr gelingt.
Ihr Anspruch, dass er kein eigenes Leben mehr haben, sondern stets an ihre Seite verharren sollte, empfinde ich als recht egoistisch. Geht man so mit dem Mann um, den frau ein ganzes Leben lang geliebt hat? Fraglich ist auch, was der Titel „Ein großes Versprechen“ wohl meint, denn ein solches kommt im ganzen Film nicht vor. Allenfalls lässt sich vermuten, dass das Vorhaben gemeint sein könnte, nach seiner Pensionierung gemeinsam zu reisen. Aber da hat nun mal die MS einen Strich durch die Rechnung gemacht, was ja nicht seine Schuld ist.
Fast am Ende des Films trifft Eric die Tochter und sagt: „Juditha ist im Pflegeheim und ich bin schuld. Ich habe alles falsch gemacht…“
Er ist nun mal ein liebevoller Typ, übrigens großartig gespielt von Rolf Lassgård. Auch Dagmar Manzel vollbringt in der Rolle der Juditha eine eindrückliche Meisterleistung.
Es gibt dann auch noch ein paar lichte Momente, Juditha scheint im Heim langsam anzukommen, nimmt endlich Physio an und genießt die Sonne im Park. Von Eric bekommt sie einen Brief mit Fotos seiner fruchtlosen Suche nach dem Schiff, mit dem sie einst zusammen Seereisen unternommen haben. Immerhin: Sie lächelt.
Fazit für mich: Krankheit und Gebrechlichkeit, sowie damit einher gehende Verluste an Selbstständigkeit sind zu akzeptieren und nicht zu verleugnen. Jegliche Hilfen – gerade auch von Dritten und Fremden – sind willkommen zu heißen, anstatt vom Partner zu verlangen, dass er sein Eigenleben aufgibt! Wer das nicht tut, wie Juditha, vergrößert mutwillig den Haufen Elend für beide!
Möge ich diese Einsicht nicht vergessen haben, wenn’s mal soweit ist!
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Passend dazu:
Die Legende von Philemon und Baucis – erzählt von Fred Lang.
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2 Kommentare zu „Das große Versprechen: Ein altes Paar, das durch MS an seine Grenzen kommt“.