Warum es auch jungen Menschen vor dem Alter grauen kann.
Es ist enorm praktisch, daß Dinge Eigenschaften haben. Zumindest, wenn es vorkommt, daß du vor dem Ding also solchem eine Heidenangst hast. Diese Angst ist natürlich selten begründet, wie dir jedermann versichern wird, dem du sie irgendwann verrätst.
Du kennst vermutlich diesen wunderbar beruhigenden Satz: „Du brauchst keine Angst haben!“ Der erstens zwar grammatisch falsch ist, aber dennoch fast immer formal verkehrt angebracht wird – was eine Art psycho-linguistisches Naturgesetz darstellen dürfte. Und der deshalb zweitens zu den vermutlich nicht auszurottenden Grunddummheiten der Menschheit zu gehören scheint.
Denn gerade das ist ja das Beängstigende: Angst zu haben, obwohl es keinen erkennbaren Grund dafür gibt. Auf keinen Fall einen, den du vorzeigen kannst, ohne Gefahr zu laufen, dich der Lächerlichkeit preis zu geben. Angst, das ist wohl für einmal und immer gewiss, richtet sich stets auf das Namenlose und Gesichtslose. Das, was hinter der Tür, jenseits der Berge, der Blätter und des Horizontes wartet. Nicht das Ding auf der Schwelle, sondern jenes, das sich jeden Moment darauf dunkel, naß und entsetzlich niederlassen könnte, es aber noch nicht getan hat.
Sobald dieses Ding jedoch Eigenschaften bekommt, beginnt auch die Angst davor, solche anzunehmen. Und setzt somit ein Gesicht auf. Nimmt Gestalt an. Was sie schon kleiner macht. Freundlicher beinahe. Weil Gestalt und Gesicht der Angst ein zu Hause bieten, ein sie umgebendes Heim. Nicht das, was du in einem Gesicht siehst, ist ja das Unheimliche, sondern eben stets das, was du dort gerade nicht siehst. Oder noch nicht.
Nun ja, das ist sicherlich keine die Welt bewegende Einsicht. Daß das so ist, weiß doch im Grunde jeder Mensch. Ein Blick in den Spiegel reicht. Was du dort von dir zu sehen bekommst, kann dich stolz oder auch verlegen machen, dich anwidern oder begeistern – aber es macht dir eigentlich keine Angst. Es ist ja anwesend! Dort, direkt vor dir. Es hat Gestalt, Form, Zweck und Leben.
Doch das nicht zu Sehende – das kann eine grausame Angst machen. Weshalb Totenschädel ein uraltes Symbol für das Grauen darstellen dürften. Du siehst sie nicht unter der gesund und fest darüber gespannten Haut, hinter den leuchtenden Augen, den Lippen, in denen noch Blut zirkuliert, und der Nase, die vielleicht wieder einmal tropft.
Trotzdem lauert auch DEINER dort. In dir. Ist unsichtbar. Vorhanden aber nicht zu sehen. Wie das, was noch kommen wird. Wie das – Alter!
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44 Kommentare zu „Zur Kunst des Alterns“.