Claudia am 12. Mai 2020 —

Altersstolz – ein Hindernis

Es gibt verschiedene unschöne Eigenheiten der Charaktere, die sich mit zunehmendem Alter immer deutlicher ausprägen – nicht bei allen, klar, aber doch bei einigen. Neben der Verbitterung und gelegentlich zunehmender Menschenfeindlichkeit ist das der „Altersstolz“, der sich zum Hindernis im Umgang mit Anderen entwickeln kann.

Wer kennt nicht alte Menschen, die keinerlei Widerspruch mehr ertragen? Sie reagieren gleich beleidigt, wenn man anderer Meinung ist, diese gar noch belegt und verteidigt. Sie halten fest an dem, was sie für die einzig stimmige Methode, das richtige Verhalten, die korrekte Bewertung halten und lassen da kein bisschen mit sich reden. Fühlen sich abgewertet, ihre lange Lebenserfahrung negiert, ihre Kompetenzen in Zweifel gezogen – ich kann es verstehen, hoffe aber sehr, als Hochbetagte nicht selbst so zu werden.

Auch ich bin jetzt im Rentenalter und ziehe oft innerlich die Augenbrauen hoch, wenn mir die „Naivität der Jugend“ begegnet, im Guten wie im Schlechten. Aber es hilft, mich stets daran zu erinnern, wie ich selber in jüngeren Jahren war. Und zudem: Nichts ist in Stein gemeiselt, die Welt ändert sich, andere Menschen machen andere Erfahrungen und hegen entsprechende Meinungen. Das Schärfste: Ich habe nicht immer recht, wenn ich auch annehme, einen guten „Weitblick“ zu haben.

Dieser Weitblick, der mehr das Ganze anschaut als das Detail, das vielleicht gerade skandalisiert wird, ist nicht nur positiv, sondern bedeutet auch einen Verlust an Kampfkraft. Wer zuviel Verständnis für die Rahmenbedingungen hat, unter denen Menschen agieren (und oft nicht anders können), bringt die Wut nicht mehr auf, die – koste es, was es wolle – auf Veränderung drängt. Solche Defizite zu sehen, macht demütig und nachsichtig – und das ist gut so!

Was mit zunehmendem Alter besser ab- als zunehmen sollte ist das Ego. Die Jugend und das mittlere Erwachsenenalter sind die richtige Zeit, zu glänzen und mit den eigenen Pfunden merklich zu wuchern. Später ist das nicht nur immer weniger nötig, sondern wird ein Hindernis, ein Charaktermangel, ein Grund für Andere, eher zu flüchten als zu bleiben.

Egozentrische Alte können im Einzelfall unterhaltsame „Kunstfiguren“ werden, doch ist das nicht der Normalfall. Der ist leider nur unerträglich, weshalb so manche vereinsamen – nicht wegen ihres Alters, sondern weil sie das „Ich ich ich!“ nicht ablegen können, das nurmehr eine trennende Mauer darstellt, je älter man wird.

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Diskussion

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4 Kommentare zu „Altersstolz – ein Hindernis“.

  1. „Nicht zu verwechseln mit dem Starrsinn und der Widerborstigkeit Dementer, die zu deren Krankheitsbild gehören und die erheblich den Umgang mit ihnen erschweren. Ich bin geneigt, alten Menschen gegenüber Nachsicht walten zu lassen, zumal Strenge ohnehin nur das Gegenteil bewirkt. Das heißt nicht, ihnen alles durchgehen zu lassen. Wir Leipziger kannten einen kleinwüchsigen Mann, der viele Jahre lang in der Öffentlichkeit boshaft mit seinem Stock gegen Passanten wütete, ihnen gegen die Schienbeine drosch und verbal giftete. So freilich nicht. Hinter der Verbitterung stecken so viele Möglichkeiten: Hilflosigkeit, Einsamkeit, erfahrenes Unrecht. All das verbindet sich in den letzten Lebensjahren zu einem manchmal unheilvollen Konglomerat, dem man irgendwie die Spitze nehmen muß, wennmöglich durch Gnädigkeit, Verständnis und Zuwendung oder, wenn’s nichts bringt, durch die härteste Strafe, die einen alten, einsamen Menschen treffen kann: Gleichgültigkeit.“

  2. Ein ganz schwieriges Thema! Denn wenn man einen solchen halsstarrigen Alten bei sich in der Familien macht, hinterlässt das gerade die Kinder sehr ratlos. Und natürlich könnte das auch beginnende Demenz sein. Aber wo ist die Grenze und was würde sich dadurch ändern?
    Mein Sohn und seine Familie sind damit gerade konfrontiert und haben mit der Situation große Probleme.
    Ich musste versprechen, nicht selbst auch mal so zu werden ;-)
    LG
    Sabiene

  3. Merkwürdig, aber trotz meines unerträglichen Altersstolzes (keine Synonyme im Thesaurus), oder ungeachtet erheblicher Arroganz und Unbelehrbarkeit gibt es kaum Hürden zwischen mir (5 Monate älter als Christos) und anderen Menschen. Da ist die Studentin, Jahrgangsbeste Abiturientin der Europaschule Lippstadt, Pianistin und Instrumentalistin mit einem Stipendium für das Studium in Neuropsychologie in London, die sich freut, uns nach 4 Jahren zu sehen, wenn sie im Juni ein Praktikum macht. Es gibt noch Dutzende Menschen, die mich mögen und schätzen. Mit Frauen habe ich aber eher Zoff als mit Männern.
    Das Wort Stolz mag ich nicht, wenn kein Selbstwertgefühl dahinter steckt. Und warum sollte ich meins nicht mühsam erworben haben als Tochter eines unehelich geborenen Dienstmädchens, eines schizophrenen Vaters, zeit-umfänglich 7 Schuljahren, ohne Abschluss, eines straffälligen Ex-Mannes, zwei allein großgezogen Kindern, mit 35 noch einen 2. Beruf gelernt. Das schützt mich nicht davor, eine kesse Lippe zu riskieren oder mich unbedacht in die Nesseln zu setzen und in ein fremdes Revier einzubrechen, und die Grenzen gegenüber einem Menschen aufzuzeigen oder auch anderer Befugter zu verletzen, wenn mich jemand mit endlosem Wortschwall nervt.
    Mehr sage (schreibe) ich nicht.

  4. Korrektur: ein halbes Jahr jünger als Christo. Vielleicht gebe ich ja auch noch mit knapp 85 den Kochlöffel ab.