„Muss man mit 80 noch Tennis spielen?“ fragt der Orthopäde Wim Schreurs in einem SPIEGEL-Interview, das mich – obwohl schon von 2017 – zu diesem Artikel inspiriert. Es geht um die sogenannte „Schulterspiegelung“ (subakromialen Dekompression), über die große Studien heraus gefunden haben, dass sie im Grunde nichts bewirkt. Weil mal wieder nicht auf die Ursachen geschaut wird, sondern nur auf die Wirkungen: Schwellungen aufgrund entzündlicher Prozesse in Muskeln und Sehnen benötigen mehr Platz im Gelenk und verursachen das „Einklemmungssyndrom“. Also schabt man per OP hier und da was weg, anstatt zu warten, bis die Entzündung verschwindet.
Schreuers meint dazu:
„…wenn man lange genug wartet, verschwindet die Schwellung – und damit auch der Schmerz – oft von allein. Das sind einfach die Selbstheilungskräfte des Körpers. Operiert man bei einem Engpasssyndrom zu einem bestimmten Zeitpunkt, sind die Schmerzen danach zwar ebenfalls oft weg. Die Frage ist nur: Liegt das an der OP – oder ist das der natürliche Lauf der Dinge?“
Wie aus dem weiteren Text hervor geht, sind diese Erkenntnisse auch auf häufige Knie- und Hüftgelenksspiegelungen übertragbar. Was die Frage aufwirft: Verlangen wir im Alter dem Körper vielleicht einfach zuviel ab? Weiter Tennis spielen, womöglich noch Joggen, herausfordernde Reisen und Wanderungen – ist das „aktive Alter“ vielleicht einfach eine überzogene Erwartung, gespeist vom Fitness-Kult und der Verdrängung jener Prozesse, die früher als natürliche Begleiterscheinungen des Alterns angesehen wurden?
Der Orthopäde Schreurs meint, die langsame Degeneration der Gelenke sei wahrscheinlich einfach ein Teil des Lebens – müssen wir uns mit aller Macht dagegen stemmen? Könnte nicht das Akzeptieren des zunehmenden „Schwächelns“ gepaart mit der Entschleunigung sämtlicher Unternehmungen ein entspannteres, am Ende glücklicheres Alter bedeuten?
Arbeiten gegen das Altern – ist das die erfüllendste Version des letzten Drittels?
Folgt man dem als Jg. 1973 noch recht jungen Bestseller-Autor Sven Woelpel, gibt es gegen das Altern jede Menge zu tun. Der Titel seines Bucherfolgs spricht für sich: „Entscheide selbst, wie alt du bist“ (Werbelink) verspricht etwas, nach dem wir uns letztlich alle sehnen: Kontrolle über alles, was uns selbst betrifft, nicht hilflos irgendwelchen Prozessen ausgeliefert sein, sondern die Dinge selbstbestimmt in der Hand behalten. Aus der Kurzbio Woelpels auf Amazon:
„Sven C. Voelpel ist Professor für Betriebswirtschaft an der Jacobs University Bremen und Gründungspräsident des WDN – WISE Demographie Netzwerks. Er ist Experte für Exzellenz. Dabei berät er Hidden Champions, Konzerne wie Allianz, Daimler, Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Otto und Volkswagen. Derzeit beschäftigt er sich insbesondere mit der Effektivität von Führung und lebenslanger Fitness für Höchstleister.
Ich zitiere das, weil Woelpel in den Medien oft als „Professor / Altersforscher“ vorgestellt wird, so dass man glauben könnte, er hätte einen medizinischen bzw. geriatrisch-akademischen Hintergrund. Ob nun „lebenslange Fitness für Höchstleister“ tatsächlich auch ein Programm fürs ganz normale Altern sein kann, muss am Ende jeder selbst entscheiden. Dass Woelpel von „Superfoods“ begeistert ist und durch sein Leben rennt, um genug Bewegung im Alltag zu haben, kann man in einem 3 nach 9-Ausschnitt auf Youtube besichtigen. Im Buch finden sich unzählige Erkenntnisse, Rezepte und Tipps fürs lebenslange fit und munter bleiben – es eignet sich durchaus, den eigenen Ehrgeiz zu wecken und sein Leben entsprechend zu ändern. Auch persönlich wirkt Woelpel sympathisch und authentisch, er lebt offensichtlich, was er schreibt. Mit der Energie eines 45-Jährigen ist das allerdings noch ein anderes Spiel als mit 65 oder 75!
Gefühlte Ambivalenz: Kampf oder Hingabe?
Selbst fühle ich mich immer mal wieder hin- und hergerissen: Phasenweise sehr motiviert, den Kampf gegen Alterserscheinungen engagiert aufzunehmen – und dann wieder eher das Gegenteil: Hab ich wirklich nichts Besseres zu tun, als gegen das Altern anzustrampeln, mich mit den stets wechselnden Erkenntnissen in Sachen „gesunder Ernährung“ zu befassen und meinen Alltag nach dem Motto „nur nicht schwächeln“ zu gestalten?
Deshalb endet dieser Artikel auch nicht mit einer klaren Meinung, denn die schwankt bei mir und mein Engagement ist so volatil wie meine Gelassenheit. Nur eines will ich festhalten: Bevor ich mich sinnlos operieren lasse, weil ich z.B. im Garten keinen Kompost mehr schmerzfrei schaufeln kann, lasse ich es lieber!
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4 Kommentare zu „Nutzlose Schulter-Operationen – weil wir das Altern nicht akzeptieren?“.