Diese Frage hat Wilhelm Heitmeyer vom Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld untersucht. Zunächst: Es simmt! Die Ergebnisse der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland“ bescheinigen der Generation 65plus deutlich feindseligere Einstellungen als anderen Altersgruppen.
Zehn Jahre lang wurde die Entwicklung von Vorurteilen gegenüber sozial schwachen Gruppen wie Asylbewerbern, Langzeitarbeitslosen und Obdachlosen untersucht. Im Interview mit dem NDR berichtet Heitmeyer:
Wir haben festgestellt, dass die über 65-Jährigen sehr viel höhere „Abwertungswerte“ haben als die mittlere oder jüngere Altersgruppe: Es zeigt sich etwas, was ich als „rohe Bürgerlichkeit“ bezeichnen würde. Wer nicht Kriterien von Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz erfüllt, wird abgewertet. Das trifft etwa gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Behinderte oder Obdachlose. Die „Generation 65 plus“ ist also ein Stück weit feindseliger gegenüber diesen Gruppen als andere Altersgruppen. Diese Abwertungen findet man unter ihnen nicht nur in der sogenannten Unterschicht, sondern auch in elitären Clubs. Dabei geht die ältere Generation zwar nicht mit Gewalt vor, aber mit entsprechenden Worten und auch mit Geschrei wird gelegentlich nicht gespart. Das ist für uns vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft ein bemerkenswerter Umstand, auf den man reagieren müsste. Aber das tut man nicht. Diese Gruppe wird ignoriert, obwohl sie in der Öffentlichkeit – zum Beispiel bei Pegida – sehr lautstark in Erscheinung tritt.
Und was sind die Gründe?
Als Ursachen für die feindseligere Einstellung der Alten führt nennt Heitmeyer mehrere Gründe:
- Wenn nurmehr wenige soziale Kontakte bestehen, wirkt Fremdheit (Moscheen, Obdachlose..) irritierend.
- Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung
- zunehmende Immobilität
- Mangelnde Annerkennungsquellen, da Arbeit als Quelle der Bestätigung entfällt und auch Kinder oft nicht mehr vor Ort wohnen, also insofern ausfallen.
- Nicht mehr Mitkommen in der schnell sich verändernden Welt
- Fehlende „Stabilisatoren“ wie Ehepartner, Verwandte, Freunde…
Heitmeier beklagt auch, dass sich niemand um die sich zuspitzenden Meinungen und Haltungen der Älteren und Alten kümmere:
„Um diese schleichende, verdeckte Feindseligkeit in Altenheimen – aber auch ganz normalen Familien – kümmert sich im Grunde niemand. Selbst dann nicht, wenn darauf hingewiesen wird, dass dort eine kritische Diskussion angefacht werden müsste. Aber Senioren sind eine sehr wichtige Wählergruppe und die Parteien scheuen sich, Veranstaltungen anzubieten, um kritische Debatten anzustoßen; etwa auch zwischen Jung und Alt. Die Parteien befürchten, diese Wählerschaft zu verlieren. Das ist schon ein ziemliches Problem.“
Nicht feindselig werden – wie schaffen wir das?
Auf die Frage, wie man es schaffen könne, im Alter nicht feindselig zu sein oder zu werden, weiß der Forscher allerdings keine Antwort, schließlich sei er kein „Gesellschaftsarchitekt“.
Muss man das sein, um hier Antworten zu finden? Immerhin ist Heitmeier selber stolze 71 Jahre alt. Dabei ließen sich doch einige Thesen aus den angegebenen Ursachen ableiten. Es braucht ganz offensichtlich „Stabilisatoren“, um nicht in miese Stimmungen, Ablehnung und Hass abzugleiten. Als alternder Mensch tut man sicher gut daran, nicht in Inaktivität zu verfallen, nur weil man „in Rente geht“. Das Wort „Ruhestand“ bezeichnet eine falsche Entwicklung, denn „Ruhe“ ist kein Lebensinhalt. Ein Ehrenamt oder ein Hobby, dass auch menschliche Kontakte mit sich bringt, ist gewiss hilfreich – und viele Alte machen das ja durchaus vor.
Bemerkenswert finde ich, dass die in der Studie festgestellte Ablehnung sich explizit gegen jene richtet, die die „Kriterien von Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz“ nicht erfüllen. Eine klassische Projektion: Was man bei sich selbst nicht sehen will, weil man es nicht akzeptieren kann, bekämpft man bei Anderen. Traurig, aber wahr. Allerdings kann man sich dieser psychischen Proszesse auch bewusst sein bzw. werden – und dagegen angehen!
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6 Kommentare zu „Warum alte Menschen feindseliger sind als andere“.