In diesem Gastbeitrag, über den ich mich sehr gefreut habe ihn hier veröffentlichen zu dürfen, möchte ich über meine widersprüchlichen Gedanken zur Kunst des Alterns schreiben. Und genau so wenig, wie es eine Antwort auf die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ geben wird, so wenig wird es eine Antwort auf die Fragen nach der „Kunst des Alterns“ geben. So banal dies auch klingen mag, ist dies vielleicht meine erste und wichtigste Einsicht. Ein farbenfroher Raum eröffnet sich, in welchem sich Allgemeines und Individuelles zu verbinden sucht.
Und ich bin mir nicht sicher, ob die Kunst des Alterns nicht bereits an dem Tag beginnt, an welchem wir das Licht der Welt erblicken.
Würde, innere Ruhe, Zufriedenheit – wie geht das?
„In Würde alt werden“ war einer meiner Leitgedanken, als ich mit 45 Jahren allem bis dahin gewesenem den Rücken kehrte. Zu meinen bescheidenen materiellen Vorstellungen im Alter fand ich recht bald Klarheit. Aber auf welchem Weg wollte ich meine innere Ruhe und Zufriedenheit finden, und vor allem: wie und mit wem?
Im Laufe der Jahre kamen immer wieder zwei Gedanken zu dieser Frage an mich heran, die wohl einerseits meine volle Einsicht und Zustimmung fanden, doch andererseits enthalten sie bis heute einen immer noch faden Beigeschmack, den zu ergänzen oder erwiedern ich kein Kraut finde.
Um in Würde alt werden zu können gibt es aus meinem persönlichen Lebenslauf heraus noch zwei Zustände, mit denen ich eins werden möchte:
- In Frieden, Ausgeglichenheit und Ruhe mit mir alleine leben können
- und bitte sagen können, indem ich als unvollkommener Mensch die Bitte um Hilfe an Menschen richte, ohne Scham und Hilflosigkeit dabei zu empfinden.
Von Liebe und Freundschaft
Wenn ich mein Leben rückbetrachte, so finden sich darin auch die großen Entwürfe von Liebe und Freundschaft. Zwischenmenschliche Beziehungen, die aus meinem in-das-Leben-hineinwachsen immer fern jeder Eigennützigkeit gedeutet wurden. Es war nicht schön, mich nach dem Auseinanderbrechen dieser Vision mit der wirklichen und tieferen Tragfähigkeit meiner Beziehungen auseinanderzusetzen – gleich, ob Männlein oder Weiblein, ob Familie, Arbeit, Freund. Auch wenn es immer von einem Geben und Nehmen gekennzeichnet war, geschah es doch nie aus Uneigennützigkeit.
Mal habe ich die Stärke des Partners gebraucht, mal er meine Schwäche. Mal er mein Geld, mal ich seine Hilflosigkeit. Mal wurde meine Härte, meine Disziplin, meine Scheu gesucht, gebraucht, genutzt – mal genoss ich seinen Ruhm, seine Erotik, seine Bewunderung.
Was der eine nicht hatte, hatte der andere.
Heute denke ich, das ich all dies NICHT von einem anderen Menschen zu meiner eigenen Vervollkommnung brauchen oder gebrauchen möchte. Ist denn dies nicht ein nutzen, ausnutzen oder benutzen? Rückt das nicht schon in die Nähe des missbrauchens?
Eindeutig liegt hier auch mein Wunsch verborgen, selbst nicht als ein Nutzobjekt gebraucht zu werden. Und so frage ich:
Kann man andere Menschen nicht ganz einfach – ohne jeden egoistischen Hintergedanken an seine Inanspruchname im Sinne des eigenen Nutzens – sehen, akzeptieren, bewundern?
Alleine leben können
Wenn ich nicht mit und in mir Zufriedenheit finde, ist die Gefahr groß, dass ich das Fehlende in anderen Menschen suche, um Unvollkommenheit nicht ertragen zu müssen. Deshalb glaube ich, das ich erst im „alleine leben können“ den Frieden mit der eigenen Unvollkommenheit finden kann. Wenn ich darin selbst meinen Frieden finde, finde ich auch den Frieden mit der Unvollkommenheit des Partners.
Und zum bitte sagen können: da glaube ich, das ist wieder einen weiteren Beitrag wert.
***
CK: Ich danke Menachem (Jg. 1952) für diesen nachdenkenswerten Gastbeitrag! Wer mehr von ihm lesen will, möge sein Blog „Gemeinsam leben“ besuchen, das ich als einen „ruhigen Ort“ im Web gerne aufsuche und schätze.
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10 Kommentare zu „Unvollkommenheit“.