Vielleicht, wenn wir uns nicht so viele Sorgen machen würden, gelänge uns das Bild der ‚bezaubernden weisen Alten‘. So sollte es doch sein. Und dass wir am Ende unseres Lebens beglückt und zufrieden zurückschauen könnten, auf das, was uns begegnet ist, auf das, was wir erleben durften, auf das, was uns Freude gemacht und unser Herz berührt hat, das, was uns erreicht hat, das, was unser Leben zu Leben gemacht hat.
Und ich sehe mich in ‚mohnrot‘ – rot, welches das Herz stärkt und vielleicht bestärkt, uns aufrecht gehen lässt und uns selbst bewusst werden lässt. die frage ‚wer bin ich‘ in mohnrot gekleidet – die Antwort kann nur possitiv sein – aber das ist der Befund für Aids ja auch. Relativ ist alles und demnach auch unsere Betrachtensweise – ob wir alt werden oder nicht.
Und was ist ‚alt‘? Die Beliebigkeit des Fragens und der Antworten lässt mich immer näher in den humorigen Bereich abwandern. Und irgendwie bewegen müssen wir uns ja, auch wenn die Beine nicht mehr so wollen (noch wollen sie ja – einigermaßen). Haben wir diesen, den humorigen Teil unseres Lebens, nicht enorm verkümmern lassen? Haben wir nicht alles immer viel zu ernst genommen? Es ist wohl der Kunst zuzurechnen, so etwas zu können, den Dingen und Begebenheiten den Spiegel vorzuhalten und zu fragen: Seht ihr nicht, wie lächerlich ihr euch macht?!
Menschen mit Humor werden so – glaube ich beobachten zu können – leichter alt. Sie stellen von sich aus nicht die tiefgründigen Fragen, nehmen’s, wie’s kommt und leben in dem, was ist. Vielleicht gehen die vielen Fragen, die wir haben, die ich habe, nicht in die Tiefe, sondern am Leben vorbei. Vielleicht sollten wir unsere Köpfe hin und wieder mal an die Seite schieben und unseren Bauch entscheiden lassen. Vielleicht wäre das ein lebendigeres Leben und die vielen Fragen, Wenns und Abers würden sich erst gar nicht an uns heran wagen.
So schön die Vorstellung, dass ich dann meine Bilder mit meinem ganzen Körper malen möchte, die Leinwand und die Farben auf der Erde und ich mich, dazwischenmischend, wie eine Sau im Schlamm wälzend, im Wohlergehen suhle. Aber der Kopf! Immer dieser Kopf, oder das, womit wir ihn vollgestopft haben! Er könnte ja auch etwas ganz anderes enthalten. Wenn wir im Busch (Paradies) aufgewachsen wären, würde diese Vorstellung nicht so ganz abwegig sein. Was meinst du – hast du auch solche Gelüste und Vorstellungen, die dir dein Kopf verbietet? Das Älterwerden wäre eine Ehre!
Oder müssten wir uns zurückziehen wie die Tiere, und unsere letzten Tage einsam und nur mit uns selbst verbringen? Aber da ist eben dieses, dass ich das denken-können und -dürfen als mein grösstes Hab und Gut bezeichne und mein Bangen dem gilt, dass es einmal verlorengehen könnte. Es ist ja das Schicksal vieler alter Menschen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich eines Tages in dein Gesicht schaue und dich nicht mehr erkennen könnte. Ich wünsche mir, nur so alt zu werden, solange mein Geist mich trägt. Vor anderem bewahre mich, was oder wer immer das vermag. Bei den Gedanken ist mir der Verlust von Zähnen – Zahn um Zahn – eine Banalität, und manchmal nehme ich mir vor, niemals mehr zu klagen, solange mein Kopf intakt ist.
Aber das Klagen gehört wohl auch zum Älterwerden, genau wie die zahlreichen Verluste, die sich leider nicht nur auf die Zähne beschränken. Bei jeder Einschränkung tröste ich mich damit, dass es Menschen gibt, die schon in jungen Jahren Behinderungen haben, die ihr Leben einschränkt, die Lebenssinn dadurch aber häufig bewusster erleben. Es macht sie stärker und menschlicher als die, die im grossen und ganzen heil davongekommen sind und sich dann beschweren, dass das Älterwerden mit dem Leben bezahlt werden muss, und jedes zipperlein notieren und beklagen.
Die Menschheit wird alt und älter. Es gab Zeiten, da waren 30 Jahre ein hohes Alter. Nun können wir fast 130 Jahre werden, aber wir haben vergessen, uns körperlich und seelisch weiterzuentwickeln. Wieso wachsen uns nicht auch ein drittes und viertesmal Zähne, wo wir doch mit sieben unser gesamtes Gebiss verloren haben? Da haben wir offensichtlich nicht aufgepasst. Es gibt Tierarten, die ihre verlorenen Gliedmassen erneuern können. Wieso können wir intelligenten Menschen so etwas nicht?
Dass unser Gehirn sich nicht dementsprechend weiterentwickelt hat, ist doch von unzähligen Dingen ableitbar. Wieso lernen wir nicht aus unseren Fehlern, wieso wiederholen wir sie immerwieder? Weshalb gibt es Kriege, Hungersnot und unvorstellbare und unbegreifliche Unmenschlichkeit neben all dem Wohlstand, neben all dem Wissen?
Für unsere Dummheiten müssen wir bezahlen. Vielleicht ist das Alt-werden-wollen ja ein unverschämtes Anliegen.
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