Claudia am 06. April 2012 —

Komm, schöner Tod! Vom Sterben als Event

Schon im Vorfeld der Ausstrahlung dieses beeindruckenden Fernsehfilms hatte es Kritik am späten Sendeplatz 22.15 gegeben. Hatte das ZDF Angst vor der eigenen Courage, das Thema „aktive Sterbehilfe“ zur Primetime zu bringen? Immerhin ist er jetzt in der Mediathek, allerdings nur zwischen 20 und 6 Uhr morgens abrufbar.

Das Drama zeigt Berlin in der nahen Zukunft. Zahlreiche demente Alte irren durch die Straßen und werden von mobilen Hilfsdiensten „eingesammelt“. Die Pflegeheime sind überlastet: gerade noch 15 Minuten Zeit pro Mensch und Tag kann die Gesellschaft finanzieren. Dauermedikamentierung, Beruhigungsspritzen, wenn jemand ausrastet, nächtliche Fixierung – das ganze Elend wird gezeigt, sowohl in Heimen als auch dort, wo noch ein Angehöriger pflegt.

Wie etwa der Journalist, der mit seinem dementen Vater kaum mehr fertig wird: mal trifft er ihn nackt und gesichtsbemalt an, im Kampf gegen die im Flur verteilten eigenen Exkremente, die er für feindliche Maden hält. Mal erkennt der Vater ihn nicht, wird aggressiv und sogar gewalttätig. Letztlich zündet er sogar die Wohnung an. In lichten Momenten gibt es aber auch Freude, spielerisches Miteinander, große Nähe, doch manchmal erkennt der Vater seine Lage und wünscht sich, zu sterben, um endlich keine Last mehr zu sein.

Aktive Sterbehilfe als Dienstleistung

Gerade dieser Journalist wird nun von einem Unternehmer als PR-Schreiber engagiert, der den selbst gewählten Freitod als Inszenierung schöner Illusionen verkauft. Nachdem das Bundesverfassungsgericht aktive Sterbehilfe als Dienstleistung erlaubt hat, sieht der das große Geschäft: Sterben als feierlicher Event, zelebriert im Kreis einer durch Schauspieler in Szene gesetzten „Familie“. Sein Argument: „Die meisten von uns haben keine Kinder, die wir mit der Pflege belasten könnten – und wer noch Angehörige hat, möchte ihnen das nicht zumuten“. Zudem sei es in einer Welt, in der Kinder per geplantem Kaiserschnitt geboren werden, doch nur normal, auch das Ende „frei“ zu gestalten.

Besonders beeindruckt hat mich der Satz: „Wer jetzt alt ist, ist doch mit Rock’n Roll aufgewachsen, mit Jimmy Hendrix und so. Denen kann man doch nicht einfach in einem Abstellraum eine Spritze geben!“
Ja, zu dieser Zielgruppe gehöre ich auch, im Film-Pflegeheim spielte man die Songs der 70ger-Jahre. Man kommt nicht umhin, sich selbst die Frage zu stellen: Würde ich das „Angebot“ annehmen wollen? Ganz sicher nicht mit Schauspielern, aber so grundsätzlich… ?

Pech, dass die erste „Kundin“, die für ihren Freitod bis zum Verfassungsgericht geklagt hat, mittlerweile so verwirrt ist, dass sie davon nichts mehr weiß. Es entspinnt sich ein Drama, das auch komödiantische Momente hat, etwa wenn einige Pflegeheiminsassen ihre restlichen Geisteskräfte einsetzen, um eine „Flucht“ zu ermöglichen – und am Ende geht alles doch irgendwie gut aus, so dass man den Film auch um 20.15 Uhr hätte zeigen können.

Auf jeden Fall ist dieser Film eine Sternstunde des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, in einem Privatsender schier unvorstellbar.

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Diskussion

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4 Kommentare zu „Komm, schöner Tod! Vom Sterben als Event“.

  1. Meine Großmutter ist an Demenz erkrankt.
    Ich bin vor drei Jahren durch einen Zufall gleich in ihre nächste Nachbarschaft gezogen.
    Vorher habe ich fast zehn Jahre freiberuflich und selbständig als Bauzeichner gearbeitet… mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich das nicht ewig machen will… nicht so wie es lief… vielleicht hatte ich sogar eine Art „Burnout“… ich weiß nicht, wie man so etwas definiert… jedenfalls hatte ich genug von der Tätigkeit und wollte mich verändern… dazu habe ich meinen Lebensstandard auch seit meinem Umzug nun drastisch reduziert, um mich frei zu machen von finanziellem Druck.

    Dadurch habe ich auch die Zeit gefunden mich um meine Großmutter zu kümmern.
    Die Besuche haben mir selbst auch im Grunde wieder Stabilität und Kraft gegeben…
    Ich habe bei ihr letztlich in der Wohnung bis vor einem Jahr sogar ein separates Zimmer für kreative Arbeiten und Studien nutzen können… vor fast einem Jahr meine Cousine dort eingezogen, die hier in München studiert.
    Anfangs waren die Symptome meiner Großmutter unmerklich…
    Wir haben noch zusammen morgens Kreuzworträtsel gelöst und über Berichte in der Zeitung diskutiert.
    Sie hat auch einige Zeit Medikamente genommen.
    Aber leider unwillig, sodass wir die Medikamente irgendwann – auch wegen Zweifeln an der Wirksamkeit abgesetzt haben.

    Jedenfalls wird sie von Woche zu Woche schwächer und man muss viel mit ihr reden und sie im Alltag halten, damit sie nicht phantasiert und Triviale Dinge in ihrem Leben durcheinanderbringt.

    Ich bin sozusagen dem Sterben sehr nahe hier in meinem Alltag mit ihr… und ich sehe auch, dass meine Verantwortung von Tag zu Tag zunimmt…
    Zum Glück kann ich sagen, dass in meiner Familie der starke Zusammenhalt besteht, der durch diese gemeinsame Aufgabe, Herausforderung und Verantwortung nur wächst.

    Meine Erfahrung zeigt mir, dass es nicht schadet, einen alten/ sterbenden Menschen zu begleiten und zur Seite zu stehen.
    Man kann sich in der Ruhe und dem Bewusstsein der Endlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens auch selbst sammeln und finden.
    ________
    Das Dao De Djing/Tao Te King
    wird oft völlig verschieden übersetzt…
    Kapitel 50
    setzt sich mit dem Sterben/ dem Tod auseinander…

    Diese Übersetzung finde ich interessant:
    >>
    50. Life and Death
    ——————

    Death enters life as man enters woman.

    The limits of man:
    Thirty years of growth;
    Thirty years of decay;
    Thirty years inbetween;
    So death and life reproduce themselves.

    He who would prolong his life
    Will not meet tigers or rhinoceri in the wilds,
    Nor soldiers in battle
    So the rhinoceros finds no place in him for its horn,
    The tiger no place for its claw,
    The soldier no place for a weapon;
    So death finds no place to enter his life.
    <<

  2. Ich beschäftige mich seit Jahren mit den Themen zum Alter von 50 bis etwa 75 und durfte erfahren wie schwierig das für die Menschen zu handhaben ist. Jetzt habe ich die Chance erhalten, in meiner Heimatgemeinde eine Veranstaltungsreihe zu diesen Themen durchzuführen.
    Das Sterben ist allerdings ein Thema was in unserer Gesellschaft der totalen Verdrängung unterliegt. Das zeigt auch die Diskussionsbeteiligung zu diesem Beitrag. Dabei gibt es
    zwei Bereiche an denen sich keiner vorbeimogeln kann, die jeden zu absolut 100% betreffen: Die Geburt und der Tod!
    Ich lese gerade ein Buch von Gian Domenico Borasio „Über das Sterben“ C.H.Beck-Verlag.
    Jeder der bewußt oder unbewußt das Sterben in Anstand, Würde und vorbereitet zu gestalten gedenkt, dem kann ich dieses Buch nur empfehlen. Eigentlich betrifft uns das doch alle?
    Es grüßt euch Manfred.

  3. Klar, betrifft uns das Thema alle – jeder wird mal sterben. Trotzdem finde ich es logisch, dass das Thema im Alltag des einzelnen oft weitgehend ausgegrenzt wird. Schließlich ist es ein Thema, das mit viel Unsicherheit und Unwissen behaftet ist. Keiner weiß, was nach dem Tod geschieht, ob überhaupt etwas geschieht. Natürlich ist es wichtig – gerade in unserer heutigen Gesellschaft – , sich mit dem Thema Alter auseinanderzusetzen. Aber das nicht jeder täglich mit dem Tod konfrontiert werden möchte, kann ich verstehen, da man seine eigene Sterblichkeit doch meist eh vor Augen hat.

  4. Schade habe den Film nicht gesehen, da ich verreist war.
    Hört sich sehr interessant an. Ich habe mit meiner Tochter schon oft darüber gesprochen und werde es demnächst auch alles schriftlich festlegen. Aber weiss ich wo sie sein wird auf dieser Welt, wenn es soweit ist?!
    Meine Schwester war auch eher entsetzt (als Ärztin!) dass ich da so offen mit meiner tochter drüber rede! Kann ich nicht nachvollziehen, es kann doch schließlich jederzeit ein Unglück passieren und dann sollte man vorbereitet sein,oder?
    Lieben Gruß
    Angelika