Menachem hat in den Kommentaren zum Artikel „Mein Problem mit diesem Blog“ ein Thema angesprochen, das mich zu einem weiteren Beitrag inspiriert:
„…woher hat der Brandauer in dem Film “Die Auslöschung” das “erlösende” Pulverschen herbekommen, das er sinnigerweise hinter dem Seneca Buch deponierte?“
Für alle, die den Film nicht kennen: Brandauer spielt einen alternden Literaten (Lemden), der im wesentlichen „im Wort“ lebt. Die Diagnose „Alzheimer“ bedeutet für ihn, dass er alles verlieren wird, was er für sein Leben als wichtig und lebenswert erachtet. Den zunehmenden Zerfall zeigt der Film auf eindrückliche Weise, auch die neue Liebesbeziehung hilft darüber nicht hinweg: irgendwann erkennt der Kranke seine Lebensgefährtin nicht einmal mehr.
Allerdings hat er rechtzeitig in seiner Bibliothek hinter Seneca-Büchern ein „Mittel zum Abtreten“ gebunkert. Und in seinem Portemonnai soll ihn ein Zettel erinnern: „Seneca bringt Erlösung“. Diesen Zettel findet seine Gefährtin Judith, die im ersten Impuls das Mittel fast ins Klo entsorgt hätte – aber sie besinnt sich noch eines Besseren. Wer weiß, was kommt…
Noch bei klarem Geiste hat Lemden ihr klar gesagt, dass er bestimmte Verfallsstadien nicht mehr erleben will. Judith reagiert zunächst ablehnend, doch im Verlauf der Krankheit ändert sie ihre Meinung. Sie verabreicht ihm das Mittel in einem Grießbrei, den er – zunehmend in die Kindheit regredierend – gerne mag. In einem (wie ich finde übertrieben negativen) Verriss des Filmes auf SPIEGEL ONLINE wird dies als schlichte „Selbsttötung“ verstanden, was mich zu folgendem Kommentar veranlasste:
Wieso Selbsttötung?
Das juristische Problem rund um den Abgang der Hauptfigur wär ja nun auch ein paar Sätze wert:
Zwar wünscht Lemden seinen Tod an der „Schwelle der Gnade“, versteckt sogar ein Mittel dafür – dessen Verbleib hat er allerdings längst vergessen, als er (schon sehr verwirrt) sich mal kurz an seinen Plan erinnert und die Bücherwand aufmischt.
Als Judith (die er auch nicht mehr erkennt) ihm dann den Griesbrei mit dem Mittel kocht, ist er längst wieder abgedriftet. Nichts deutet darauf hin, dass er weiß, was er da isst… eine Kommunikation darüber findet nicht mehr statt.
Für „Beihilfe zum Freitod“ wäre jedoch erforderlich, dass der sich selbst Tötende bei klarem Geiste ist – ist er aber nicht, bei weitem nicht! Die „Urteilsfähigkeit“ ist jedoch Voraussetzung, andernfalls wird Suizidbeihilfe zu einer Fremdtötung.
In keiner der anderen Filmkritiken, die ich las (STERN, FAZ, Süddeutsche, Der Westen, wurde dieses Problem auch nur angesprochen! Seltsam, oder? Wenn überhaupt, ist von seinem „selbst bestimmten Ende“ die Rede, niemals aber davon, dass es so, wie im Film zelebriert, zu einer Anklage wegen Mordes gegen die Lebensgefährtin kommen könnte!
In den Rezensionen wird oft die Autorin zitiert, die es nötig fand, zu versichern, sie wolle „“Die Auslöschung“ in keinem Fall als Geschichte mit Vorbildcharakter sehen. Sie habe allein „die individuelle Geschichte von Ernst und Judith“ geschrieben.
Aha! Dabei ist doch DAS vermutlich der zentrale Gedanke, der vielen kommt, die sich mit der Möglichkeit einer Alzheimer Erkrankung und ihren Folgen auseinander setzen: Kann ich rechtzeitig abtreten? Und wie?
Blick in die Realität
Damit die Zuschauenden nicht lange über solche Ideen nachdenken, folgte dem Film eine Dokumentation über das Leben mit Demenz und Alzheimer. Allerdings zeigte der das schöne Leben mit Rundum-Einzel-Betreuung in den neuen Alten-Refugien in Thailand und ließ Verwandte zu Wort kommen, die davon sprachen, dass sie ihre Lieben nicht etwa dorthin „abgeschoben“, sondern aus deutschen Pflegeheimen „gerettet“ hätten. Wo sie mangels genug Pflegepersonal mit heftigen Medikamenten ruhige gestellt werden – mit KRASSEN Nebenwirkungen!
Ein Einblick in ein fröhliches Tanzfest mit Demenzkranken in einer deutschen Einrichtung konnte über diese Zustände dann auch nicht mehr hinweg trösten.
Und als Individuum frage ich mich sowieso: Wozu noch dieses Leiden? Und hoffe, dereinst irgendwie den Zugriff auf das Mittel zu bekommen, bzw. Freunde zu haben, die mir helfen.
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3 Kommentare zu „Die Auslöschung: das Mittel zum Abtreten und ein juristisches Problem“.