Claudia am 14. Mai 2013 —

Die Auslöschung: das Mittel zum Abtreten und ein juristisches Problem

Menachem hat in den Kommentaren zum Artikel „Mein Problem mit diesem Blog“ ein Thema angesprochen, das mich zu einem weiteren Beitrag inspiriert:

„…woher hat der Brandauer in dem Film “Die Auslöschung” das “erlösende” Pulverschen herbekommen, das er sinnigerweise hinter dem Seneca Buch deponierte?“

Für alle, die den Film nicht kennen: Brandauer spielt einen alternden Literaten (Lemden), der im wesentlichen „im Wort“ lebt. Die Diagnose „Alzheimer“ bedeutet für ihn, dass er alles verlieren wird, was er für sein Leben als wichtig und lebenswert erachtet. Den zunehmenden Zerfall zeigt der Film auf eindrückliche Weise, auch die neue Liebesbeziehung hilft darüber nicht hinweg: irgendwann erkennt der Kranke seine Lebensgefährtin nicht einmal mehr.

Allerdings hat er rechtzeitig in seiner Bibliothek hinter Seneca-Büchern ein „Mittel zum Abtreten“ gebunkert. Und in seinem Portemonnai soll ihn ein Zettel erinnern: „Seneca bringt Erlösung“. Diesen Zettel findet seine Gefährtin Judith, die im ersten Impuls das Mittel fast ins Klo entsorgt hätte – aber sie besinnt sich noch eines Besseren. Wer weiß, was kommt…

Noch bei klarem Geiste hat Lemden ihr klar gesagt, dass er bestimmte Verfallsstadien nicht mehr erleben will. Judith reagiert zunächst ablehnend, doch im Verlauf der Krankheit ändert sie ihre Meinung. Sie verabreicht ihm das Mittel in einem Grießbrei, den er – zunehmend in die Kindheit regredierend – gerne mag. In einem (wie ich finde übertrieben negativen) Verriss des Filmes auf SPIEGEL ONLINE wird dies als schlichte „Selbsttötung“ verstanden, was mich zu folgendem Kommentar veranlasste:

Wieso Selbsttötung?

Das juristische Problem rund um den Abgang der Hauptfigur wär ja nun auch ein paar Sätze wert:

Zwar wünscht Lemden seinen Tod an der „Schwelle der Gnade“, versteckt sogar ein Mittel dafür – dessen Verbleib hat er allerdings längst vergessen, als er (schon sehr verwirrt) sich mal kurz an seinen Plan erinnert und die Bücherwand aufmischt.

Als Judith (die er auch nicht mehr erkennt) ihm dann den Griesbrei mit dem Mittel kocht, ist er längst wieder abgedriftet. Nichts deutet darauf hin, dass er weiß, was er da isst… eine Kommunikation darüber findet nicht mehr statt.

Für „Beihilfe zum Freitod“ wäre jedoch erforderlich, dass der sich selbst Tötende bei klarem Geiste ist – ist er aber nicht, bei weitem nicht! Die „Urteilsfähigkeit“ ist jedoch Voraussetzung, andernfalls wird Suizidbeihilfe zu einer Fremdtötung.

In keiner der anderen Filmkritiken, die ich las (STERN, FAZ, Süddeutsche, Der Westen, wurde dieses Problem auch nur angesprochen! Seltsam, oder? Wenn überhaupt, ist von seinem „selbst bestimmten Ende“ die Rede, niemals aber davon, dass es so, wie im Film zelebriert, zu einer Anklage wegen Mordes gegen die Lebensgefährtin kommen könnte!

In den Rezensionen wird oft die Autorin zitiert, die es nötig fand, zu versichern, sie wolle „“Die Auslöschung“ in keinem Fall als Geschichte mit Vorbildcharakter sehen. Sie habe allein „die individuelle Geschichte von Ernst und Judith“ geschrieben.

Aha! Dabei ist doch DAS vermutlich der zentrale Gedanke, der vielen kommt, die sich mit der Möglichkeit einer Alzheimer Erkrankung und ihren Folgen auseinander setzen: Kann ich rechtzeitig abtreten? Und wie?

Blick in die Realität

Damit die Zuschauenden nicht lange über solche Ideen nachdenken, folgte dem Film eine Dokumentation über das Leben mit Demenz und Alzheimer. Allerdings zeigte der das schöne Leben mit Rundum-Einzel-Betreuung in den neuen Alten-Refugien in Thailand und ließ Verwandte zu Wort kommen, die davon sprachen, dass sie ihre Lieben nicht etwa dorthin „abgeschoben“, sondern aus deutschen Pflegeheimen „gerettet“ hätten. Wo sie mangels genug Pflegepersonal mit heftigen Medikamenten ruhige gestellt werden – mit KRASSEN Nebenwirkungen!

Ein Einblick in ein fröhliches Tanzfest mit Demenzkranken in einer deutschen Einrichtung konnte über diese Zustände dann auch nicht mehr hinweg trösten.

Und als Individuum frage ich mich sowieso: Wozu noch dieses Leiden? Und hoffe, dereinst irgendwie den Zugriff auf das Mittel zu bekommen, bzw. Freunde zu haben, die mir helfen.

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Diskussion

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3 Kommentare zu „Die Auslöschung: das Mittel zum Abtreten und ein juristisches Problem“.

  1. „Wozu noch dieses Leiden?“

    Ich habe den Film nicht gesehen, aber welches Leiden meinst du? Mein Vater war an Alzheimer erkrankt und ist später daran gestorben. Zu Anfang, als er noch gemerkt hat, dass ihn sein Gedächtnis verlässt, hat ihm das Angst gemacht. Danach kam eine Phase, wo er eine Art Mini-Verfolgungswahn hatte. Das war beides aber nicht so lange, danach war er entspannt. Wir sind mit ihm spazieren gegangen und haben mit ihm Mensch ärgere dich nicht gespielt. Er hatte meistens gute Laune bzw. war – bis auf die Anfangsphase leicht zu manipulieren, so dass man ihn nur anlachen musste, da lachte er auch. Schwierig ist es für die Angehörigen, weil sie mitbekommen, wie sich der Mensch zurückentwickelt – es ist ein jahrelanger Abschied, außerdem wird der Alltag mit Pflege und Beaufsichtigung immer schwieriger – das hat meine Mutter mit Hilfe von Pflegediensten geschafft, aber das war hart (Problem: Unruhe in der Nacht u. ä.). Aber ich glaube nicht, dass mein Vater gelitten hat. Aber ich fürchte, wenn mein Vater seine Zukunft rechtzeitig erkannt hätte, dann hätte er sich möglicherweise auch umgebracht, um anderen keine Last zu sein. Für uns war es aber schön, dass er noch lange da war, jedenfalls schöner, als wenn er gleich gestorben wäre. So ist er plötzlich – bevor er bettlägerig wurde oder in einem Zustand ohne Freude war – erkrankt und dann nach ein paar Tagen im Krankenhaus eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.
    Jedenfalls, das „Leiden“ möchte ich in Frage stellen. Haben wir nicht viel mehr Angst davor, die Kontrolle über unser Leben zu verlieren, und wollen uns daher rechtzeitig entsorgen? Bei mir ist das jedenfalls so. Ich habe große Angst, ich könnte mal völlig von der Sorge und Fürsorge anderer abhängig sein.

    LG
    Eva

  2. Schön, Eva, wie in stiller Freude die letzten Jahre deines Vaters in deiner Erinnerung geblieben sind. Ich wünsche dir, das du das lange und gut aufbewahren kannst.

    Und, liebe Claudia, solltest du Freunde haben, die dir in diesen Stunden in deinem Sinne helfen, darfst du dich bestimmt zu den wenigen ganz reichen und priviligierten Menschen zählen.

    Was Eva schreibt ist auch das, was mich mehr rumtreibt, als die Frage nach meinem eigenen Handlungswunsch- und wille. Die Frage nach den Angehörigen, den Lieben. „Wann“ und „wie“ lasse ich diese zurück.

    Seit ein paar Wochen kommt nun eine ca. 70-jährige Frau hier ins Haus, wie immer ihre Tochter besuchen – nun in schwarz. Ich trau mich nicht zu fragen, ich muss es auch nicht – denn sie kommt jetzt allein. Er, ein großer sympathischer Mann, immer mit einem lächeln und einem kleinen Wortwechsel –
    er hat die Frage nach Angehörigen nicht mehr selbst beantworten können. Sie wurde entschieden.

    Ich glaube von mir zu denken, dass mir der Wunsch eines lieben Menschen wichtiger ist, als mein persönlicher Nachteil. Ich schreibe „Nachteil“ für die große Palette der sich daraus ergebenden Emotionen, Lebenslagen, Veränderungen, Ängste…

    Ich glaube im umgekehrten Sinne, sollte mir dies nicht ebenso gewährt werden, würde ich nicht weiter danach fragen und handeln, wie ich es für mich als richtig empfinde.

    Ich bin mir sehr unsicher in meiner Argumentation und es vielleicht auch alles nur theoretischer Quatsch, denn was weiß ich, was in den nächsten 5 Minuten passiert?

  3. danke Eva, für das Teilen dieser insgesamt beeindruckend schönen Erfahrung! (Insbesondere ist deinem Vater wohl glücklicherweise die Endphase erspart geblieben!)

    Im Film war der Niedergang weniger positiv dargestellt, das ist wohl auch individuell verschieden. Der Protagonist wurde immer panischer, litt bei diversen „Triggern“ große Ängste, ohne zu wissen warum – er wurde auch aggressiver, VIEL egozentrischer, er verlor vor allem all die Eigenschaften, für die er einst geliebt wurde und und und…

    Aber davon abgesehen: du hast völlig recht! Es ist die Angst, in eine total abhängige, ausgelieferte Situation zu geraten, in der man gar nichts mehr selbst bestimmen kann. Wer will das schon? Ich denke, ich würde mich auch sehr viel lieber rechtzeitig entsorgen – und deshalb trete ich für die Möglichkeiten ein, dies „entspannt“ und ohne Probleme mit Beschaffung und juristischen Problemen für Helfende bewältigen zu können, sollte ich es einmal wollen.

    „Ich glaube von mir zu denken, dass mir der Wunsch eines lieben Menschen wichtiger ist, als mein persönlicher Nachteil“

    Das denke ich von mir auch und würde bleiben, bis die wenigen, die mir so nahe stehen, diesen Wunsch loslassen. Weil sie ihrerseits mich lieben und verstehen, was ich mir und ihnen evtl. irgendwann einfach nicht mehr zumuten mag.

    Nun, mir ist auch klar, dass die Realität meist anders erlebt wird als man sich das zuvor vorstellt. Was aber nicht bedeutet, dass ich das drüber nachdenken einstelle!