Claudia am 19. Januar 2012 —

Was wir am Ende des Lebens bereuen

Über die Süddeutschen Zeitung fand ich den Bericht der Krankenschwester Bronnie Ware, die seit vielen Jahren Menschen beim Sterben begleitet. Sie beschreibt die Gefühle, die alle durchmachen, die dem sicheren Tod entgegen sehen: Verdrängung, Angst, Reue, mehr Verdrängung – und schließlich Akzeptanz des Unabweisbaren. Jeder einzelne, sagt Bronnie, habe am Ende seinen Frieden gefunden.

Die Sterbenden haben ihr auch erzählt, was sie im Rückblick auf ihr Leben am meisten bereuen. Da alle, die diesen Artikel lesen, noch recht lebendig sind, lohnt es, die Punkte genauer zu betrachten:

1. Ich wünschte, ich hätte den Mut aufgebracht, ein Leben getreu mir selbst zu führen – anstatt eines, das andere von mir erwarteten.

Dies ist die häufigste Klage der Sterbenden, die kurz vor dem Ende erkennen, wie viele Träume sie nicht gelebt haben – und zwar aufgrund eigener Entscheidung. Es wundert nicht, dass Bronnie den Lebenden rät: „Es ist wichtig, zu versuchen, wenigsten ein paar Träume wertzuschätzen und umzusetzen. Wenn die Gesundheit verloren geht, ist es zu spät! Gesundheit bedeutet eine Freiheit, die nur wenige wertschätzen, BEVOR sie sie verloren haben.“

2. Ich wollte, ich hätte nicht soviel gearbeitet!

Dies war die Klage aller Männer, die Brownie betreute. (Da die sterbenden Frauen einer anderen Generation angehörten, waren sie meist nicht erwerbstätig gewesen.) Sie bereuten, kaum Zeit mit ihren Kindern und Partnerinnen verbracht zu haben und statt dessen ihr Leben der „Tretmühle“ des Arbeitslebens geopfert zu haben.
Bronnie rät, das Leben zu vereinfachen und sich bewusst zu machen, ob man nicht mit weniger Einkommen besser leben kann: mit mehr Freiräumen wären wir glücklicher und freier, sich bietende Glücksmöglichkeiten zu ergreifen.

3. Ich wünschte, ich hätte den Mut aufgebracht, meine Gefühle zu zeigen.

Viele Menschen unterdrücken ihre Gefühle „um des lieben Friedens Willen“. Daraus resultiert ein mittelmäßiges Leben weitab vom eigenen Potenzial. Viele werden sogar krank aus Bitterkeit und Ressentiment.

Bronnie: „Wir können die Reaktionen der andern nicht kontrollieren. Doch egal wie die Reaktionen auch ausfallen mögen, wenn Du beginnst, ehrlich zu sein, hebt das am Ende die Beziehung auf ein neues und gesünderes Niveau – ODER die Beziehung verschwindet aus deinem Leben. Beides ist ein Gewinn.“

4. Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben.

Im Sterben vermissten viele ihre Freunde, die sie im Leben vernachlässigt oder aus den Augen verloren hatten. Im „Business-Lebensstil“ sind Freundschaften oft nachranging, doch am Ende zählt nicht mehr der Finanzstatus, sondern ausschließlich Liebe, Freundschaft, Beziehung.

5. Ich wünschte, ich hätte mich glücklicher sein lassen.

Dieses Bedauern ist erstaunlich: am Lebensende begreifen die meisten, dass Glück auch eine Entscheidung, also eigene Wahl ist. Sie steckten in Gewohnheiten und Traditionen fest, verließen niemals die „Komfortzone“ und scheuten Veränderungen, was zu einer zunehmenden Selbstentfremdung führte. Was andere von einem denken, ist auf dem Sterbebett nicht mehr wichtig. Mehr Lachen, auch mal was Verrücktes tun bzw. zulassen – glücklich jene, die das noch im Leben verwirklichen können!

Alle fünf Punkte sind eigentlich „nichts Besonderes“. Lebensratgeber werden als „banal“ belächelt, wenn sie diese Themen zum zehntausendsten Mal in Worte fassen. Und doch: Glück ist nichts kompliziertes, die Ratschläge sind nicht schwer zu verstehen und trotzdem wahr.

Das „Problem“ ist die Umsetzung: sich immer wieder frei machen von den vermeintlichen Zwängen und Erfordernissen des Alltags, zumindest innerlich. Um wieder „zu sich zu kommen“ und nicht aus den Augen zu verlieren: Was ist mir wirklich wichtig?

Das hat (so denke ich) auch Castaneda einst gemeint, der seinen Don Juan dem suchenden Carlos raten ließ: Der Tod sitzt auf deiner linken Schulter! Mache ihn dir zum Freund und Ratgeber!

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Diskussion

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13 Kommentare zu „Was wir am Ende des Lebens bereuen“.

  1. Ja, das ist die hohe Kunst, die jeder spätestens zum Dahinscheiden dann doch noch meistern kann. Endlich seinen Frieden machen mit sich und der Welt.

    Bronnie Ware lässt hoffen, indem sie sagt:
    „Jeder einzelne, sagt Bronnie, habe am Ende seinen Frieden gefunden.“ Kaum zu glauben, ich bin entzückt.

    Aber stell Dir vor Claudia – Ich habe mir schon damals, als ich ein Jahr vor’m Abi die Penne schmiss, fest vorgenommen, niemals etwas Geschehenes zu bereuen. Warum sollte ich auch? Es ist geschehen und ich werde es wohl eher nicht wiederholen.

    Ansonsten sage ich mir – Komme was wolle, es geht auch wieder, genau wie meine Person, so what?

  2. Hi Hermann,

    wenn es so einfach wäre, die eigenen „Kopf-Beschlüsse“ in gefühlte Lebenswahrheit zu übersetzen, wäre ich heut ein anderer Mensch! Als Beispiel möge mein aktueller Beitrag auf „unverbissen vegetarisch“ dienen.

    Was man als Jugendlicher „beschließt“, hält sich aus meiner Sicht nur dann, wenn das Jeweilige aus dem eigenen tiefsten Inneren kommt und sich das über die Zeit auch nicht verändert. Bei mir wars z.B. die Ablehnung des väterlichen Rats „Kind, denk an deine Rente!“. Hab ich nie gemacht und werde also hochwahrscheinlich von Grundsicherung leben, bzw. so lange arbeiten, wie ich eben kann. Das aber bedauere ich nicht, denn ein anderes, Renten-bewusstes“ Leben hätte ich nicht führen wollen. So, wie es bis jetzt gelaufen ist, werde ich beim Sterben ganz gewiss nicht sagen: Hätte ich doch nur… dies und das gemacht, anstatt so brav Beamtin zu werden…

  3. Merkwürdigerweise werden für mich die Punkte bedeutsamer, je mehr die Aufzählung voranschreitet.
    Punkt 1 und 2 sehe ich skeptisch.
    3) ist vertraut. Sich nicht per se anpassen in der Beziehung etwa.

    4) ist über-vertraut.
    Mit einem guten Bekannten trete ich spärlich, aber regelmässig in Kontakt und er erzählte mir just gestern, wie die alten Bekannten „abfallen“: „5 x mal angerufen, nichts kam zustande, jetzt ist der Kontakt irgendwie tot“.
    5)
    Glücklicher sein! Das ist ein Unterfangen, was wohl allen schwerfällt, es sei denn sie wären jahrzehntelang praktizierende Zen-Meister!
    Das Problem ist der KOPF.
    Der Kopf erzeugt den Müll, der uns unglücklich macht. Zwar ist es wichtig, hie und da zu handeln und neue Wege einzuschlagen, aber der KOPF ist es, der Unruhe erzeugt, Ängste, Sorgen, sinnloses-und sinnentleertes Schwaffeln, das uns bewohnt und uns zudeckt und unfrei macht.
    Es gibt Rezepte dagegen, aber der Sog, im Unglücklichsein zu verharren, ist nicht unerheblich.

  4. Hallo,
    ich kann die Punkte selber gut nachempfinden und nur nicken!
    Ich vermute mal, dass bei der jüngeren Generation Punkt 1 vielleicht nicht mehr so stark vertreten ist, aber wenn ich mich nehme, so habe auch ich einen Beruf gelernt, den ich nicht lernen wollte und einiges zunächst nicht gemacht was ich immer gerne gemacht hätte, erst auf Umwegen habe ich dann manches nachgeholt. Erst in den letzten Jahren lerne ich meine eigenen Bedürfnisse zu leben und zu äussern ohne danach zu schielen was sagt die Familie oder die Freunde.
    Aber dennoch bereue ich nichts(bis auf eine Kleinigkeit), es war ja letztendlich meine Entscheidung mich gängeln zu lassen und mich nicht frei zu machen von der Meinung anderer.
    Und das größte Geschenk ist für mich meine Tochter und dass ich gesund bin.
    Aber zwischendrin gab es schon Zeiten in denen ich genau solche Gedanken hatte.Und zuviel arbeiten tue ich teilweise heute noch, dann haut mir aber mein Körper mal dazwischen und ich komme wieder zur Vernunft (wie im Moment gerade ;-) ). Aber ich kenne viele jüngere Menschen die erst durch einen Schicksalschlag oder Krankheit merken-hoppla hier läuft was falsch! Man fällt so leicht immer wieder in den alten Trott!! Deswegen ist es glaube ich wichtig Freunde und Familie zu haben die einen immer mal wieder runter holen.

    Danke für den Artikel.
    Angelika

  5. Ich glaube nicht, das alle solche Gefühle durchmachen. Es sind vielleicht die Befragten. Mit Sicherheit gibt es auch die Menschen, die nichts bereuen und einfach nur ihrem Leben dankbar sind.
    Oftmals sind es Menschen, die aus einfachsten Verhältnissen stammen und mit dem glücklich waren, was sie hatten.
    Auf der anderen Seite ist es in unserer status- und geldorientierten Gesellschaft kein Wunder, dass immer mehr Menschen merken, das es sich mit anderen Werten als Geld und Besitz eventuell zufriedener leben lässt.
    Die größten Hindernisse zum glücklichen Leben kommen nicht von außen – sie stecken in unserem Denken, in unserem Kopf. Erst wenn man mal bewusst oder irrtümlich Grenzen überschreitet stellt man fest, dass es gar nicht schlimm war und die ausgemalten negativen Folgen ausgeblieben sind. Oder es hab sich sogar etwas unerwartet Gutes ergeben: Angst überwunden, neue Menschen getroffen oder versteckte Fähigkeiten entdeckt.
    Es gibt nichts Gutes außer man tut es.

  6. Fünf gute Ansätze!
    Zu Punkt 1. Mich möglichst einer Fremdbestimmung zu entziehen, wurde bereits früh durch die Bundeswehr geprägt. Um den Zwängen einer Anstellung zu entgehen, bin ich lieber die Risiken einer Selbständigkeit eingegangen.
    Zur Frage der Gesundheit, habe ich die Mehrheit noch nie verstanden. Obwohl wir täglich mit allen möglichen Überlastungskrankheiten konfrontierte werden, kommen die Menschen erst zur Besinnung, wenn sie einen massiven gesundheitlichen Einbruch erleiden, um meist kurze Zeit später wieder in die alten Verhaltensmuster zu verfallen.
    Zu Punkt 2. Immer wenn ich einen wirtschaftlichen Rückschlag erleiden mußte, ist es mir gelungen mit neuen Ideen wieder Erfolge zu generieren. Die logische Frage, warum kann ich den wirtschaftlichen Erfolg nicht konstant oben halten? Mit der Reife des Lebens konnte ich diese Frage selbst beantworten: „Ich war nicht gierig genug“. Unser Wirtschaftssystem erfordert nicht nur gute Ideen, sonder eine anhaltende Gier im Verbund mit einem Überziehen unserer Kräfte und dazu war ich nie bereit.
    Punkt 3. Gefühle zeigen, war für mich nie ein Problem.
    Punkt 4. Freunde. Das war und bleibt eine Einbahnstraße des uneingeschränkten Gebens, die wenigen aber überaus wertvollen Freunde sind dafür die unschätzbare Belohnung.
    Punkt 5. Glück. Bereits in der Berufsschule, also vor knapp 50 Jahren, habe ich in der Abschlußprüfung für meinen Aufsatz eine Auszeichnung bekommen, das Thema: Ist das Glück zu beeinflussen? Das Glück des Lebens war und ist mein stetiger Begleiter, allerdings bin ich stets darum bemüht, es nie zu überfordern.

    Dieser Fünfpunktekatalog ist nach meiner Ansicht ein wesentlicher Bestandteil für die Kunst-des-Lebens. Wer diesen Katalog in unserer Gesellschaft einhalten will, braucht dazu ein starkes Rückgrad. Wer sich die Freiheit nimmt, glücklich zu sein, ohne die üblichen Attribute wie Auto, Boot, Haus etc. und das auch noch zeigt. Wer beim Elternabend verkündet, seinen Kindern in erster Linie den Tag zu schenken, bevor er sie an ihre Pflichte erinnert. Wer seine Meinung offen ausspricht und dabei neue Ansichten vertritt, ohne dogmatisch zu sein.
    Und viele weiter dieser Beispiel führen zu entsprechenden Reaktionen..
    Mißgunst, Neid, die eigen Unfähigkeit zu einer positiven Lebenseinstellung unterschwellig zugeben müssen, diese Gefühle beherrschen die Szene. So sind sie eben, die so gefühlsbetonten Mitmenschen, solange sie nicht auf dem Sterbebett liegen.
    Eine abschließende Bemerkung. Wer diese fünf Punkt zur Kunst-des-Lebens beherrscht, der hat keinerlei Probleme mit der Kunst-des-Alterns. Wird dieser Zugang verwehrt, so entspricht das wohl einem Stück Gerechtigkeit-des-Lebens.
    Es grüßt Euch Manfred.

  7. […] Frage ist: Was ist neu bzw. was ist aktuell? Der Beitrag “Was wir am Ende des Lebens bereuen” ist jetzt (und zufällig) relativ frisch, aber er ist jetzt für Dich und für mich neu […]

  8. Angestaubte Artikel altern allmählich, aber andere Artikel anfangen, animiert anzuschauen!

  9. Unlängst fiel mir spontan ein Satz ein „Muß man erst sterben, um zu leben?“. Beim Googeln sties ich darauf, daß das in etwa ein Satz aus einem Lied von Falco ist. Mir war das nicht bewusst. Aber der Satz beinhaltet für mich ein kräftiges Stück Wahrheit: Angesichts des Todes wird man anscheinend gewahr, was es heißen könnte, zu leben! Und manche schaffen es dann doch noch, trotz eingeschränkter Zeit und Kraft DAS noch zu leben, was sie unter Leben verstehen.
    Wieso ist das uns nicht möglich zur Lebenszeit? Darauf gibt es natürlich Antworten, aber keine wirklich befriedigenden.

  10. Nun, üblicherweise verdrängen wir automatisch und erfolgreich den Gedanken, dass das Leben endlich ist.

    Bei mir gab es um die 40 eine Wende: auf einmal zählte ich die Zeit nicht mehr mittels „seit….“ (=seit dem Abi, seit dem Studium, seit dem Umzug nach Berlin..) – sondern plötzlich kam da ein „bis…“, ganz unerwartet. Mir war bewusst geworden, dass es eine „Restzeit“ gibt und nicht etwa eine unendliche Zukunft.

    Seitdem lebe ich viel glücklicher und zufriedener.

  11. Wenn ich an den Tod denke, komme ich auch immer wieder ins Staunen, mit welcher Intelligenz dieser Kreislauf hier auf Erden seinen Lauf nimmt.

    Wir müssen gezwungener maßen sterben. Dieser Planet könnte nicht leben und überleben, würden wir ewig leben.

    Ich glaube, @Gerhard, wir sollten keine Gedanken verschwenden, warum die einen intensiver ihr Leben wahr nehmen, andere, wozu auch ich gehöre, weniger intensiv und das es endlich ist.

    Ich glaube, alles, so wie wir es erleben und fühlen, der eine anders als der andere, ist es richtig. Würden wir ständig an die Endlichkeit denken – wie könnten wir uns noch des Lebens freuen?

    Ich versuche es so laufen zu lassen, wie es mein Naturell und der Tag es mir bringt. Manchmal denke ich schon: Etwas bewusster meine Tage zu durchleben, da sollte ich schon drauf achten. So viele habe ich nicht mehr davon.

    Aber dann spüre ich auch, dass ich mich zu diesen bewussten Stunden und Tagen dazu zwingen müsste. Dann lasse ich es auch wieder ganz schnell sein.

    Ich glaube nicht, Gerhard, dass wir da etwas falsch machen oder nachlässig sind. Wir kommen. Wir gehen. Das wissen wir.

    Aber wenn wir gehen und dann irgendwann nur noch Staub sind, wird sich nichts in diesem ehrfürchtigen Kreislauf ändern, ob wir im Sinne von „bewusst“ oder “ weniger bewusst“ auch nur eine Sekunde anders gelebt und gedacht hätten.

  12. Vielleicht hast Du mit allem recht, was Du sagst, @Menachem. Ich habe es oft auch so empfunden, wie Du es beschreibst.
    Vielleicht ist es schlicht die Angst vor dem Sterbebett und das damit verbundene „Bilanzieren“. Wer will in dieser hilflosen Situation fühlen müssen, daß er „falsch“ gelebt hat? Also dann doch lieber vorher möglichst bewußt leben!
    Anstrengung und Zwingen – so sollte es auf keinen Fall sein – es müsste zu Dir ganz natürlich kommen…

  13. […] empfinden. Man muss sich allerdings selbst in die Lage versetzen, sie auch wahrzunehmen. Um nicht am Ende des Lebens zu bereuen, nicht gelebt zu haben. Auch wutausbrüche können dabei […]