Jeder will älter werden, aber niemand mag alt sein. Ja, ganz Entgegen der Grammatik benennt man Menschen ab Mitte 40 bis um die 60 als „älter“, wonach erst sehr viel später das gefürchtete Stadium „alt“ eintritt. Doch auch dann werden die Dinge nicht beim Namen genannt. Erst sind es noch Senioren, dann Hochbetagte, die da mit 80plus noch immer unter den Lebenden weilen, nicht etwa Alte. Oder das Alter tritt gar nie ein, man bleibt beim „älter“. (Beispiel: Titel und Foto auf dem Blog-Beitrag „Datenschutz, Postprivacy und die älteren Frauen“ von Antje Schrupp)
Ab wann geht uns das Alter an?
Altern findet in jedem Lebensalter statt, wenn es auch mit zunehmenden Jahren stärker ins Bewusstsein tritt. Viele erleben um die 40 eine Art “Umschlag”: plötzlich zählt man die eigenen Jahre nicht mehr durch Addition der bisherigen Lebensabschnitte (X Jahre seit dem Abi, seit dem Ende des Studiums….),sondern man denkt: X Jahre BIS zum Rentenalter, BIS zur statistischen Lebenserwartung. Verstörend, das auf einmal zu bemerken! Bisher hatte man ein “Open End-Gefühl”, das erst durch sein Verschwinden richtig bewusst wird, auf einmal ist da ein Ende in Sicht – unvorstellbar! Und doch WAHR….
Eine merkliche Kluft tut sich dann auf zwischen denjenigen, die diese Schwelle überschritten haben und den Jüngeren, die nicht wissen, wovon die Rede ist, wenn man es anspricht. Denn es ist keine Sache rationalen WISSENS: alle wissen zu jeder Zeit, dass das menschliche Leben endlich ist und jeder ganz gewiss sterben wird. Es ist jedoch ein existenziell anderes Lebensgefühl, wenn man schon mal den Blick gehoben, den Horizont ins Auge gefasst, den Abgrund da vorne zumindest erblickt hat, als wenn man stets konzentriert auf den Weg starrt, um “weiter zu kommen”, wie es für junge Menschen selbstverständlich ist. (“Weg” und “weiter kommen” sind hier Metaphern: auch wer vermeintlich “nichts” tut, sich aber mit der Aufrechterhaltung dieses Status befasst, ist “unterwegs” im Sinne der eigenen Interessen).
Einfach ignorieren?
Da es zunächst beängstigt, ja verstört, das sichere eigene Ende zu erkennen, neigt man dazu, den Blick einfach wieder zu senken und sich – vielleicht noch ein bisschen umtriebiger als zuvor – den Alltagsgeschäften zu widmen. Inhaltlich ist das nicht unbedingt falsch: Auch wenn wir erkennen, dass wir in einem schwarzen, kalten und schier unendlichen Universum leben, aus dem heraus uns jederzeit ein Meteor treffen und wegpusten kann, werden wir uns trotzdem um die nächste Miete und vielleicht auch um die nächste Bundestagswahl kümmern. Das Ende ist schließlich nicht alles, es gibt ein Leben vor dem Tod, das geführt werden will.
Die Wahrheit des Endes nicht nur zu wissen, sondern aus dieser Wahrheit zu leben, heißt, wacher und lebendiger zu sein als es in bloßem Streben möglich ist – lebendiger also, als “die Jugend”, die der Gesellschaft als Optimum gilt. Ältere sind (potenziell!) an einer solchen Lebensführung näher dran als Jüngere, wenn sie sich dem nicht verschließen: Seine Majestät, das ICH wird weniger dominant, ganz von selber, ohne dass man da mühsam Sitzmeditation betreiben müsste. Wie die Traube hat man die Wahl, zu vertrocknen, zu verfaulen oder zu Wein zu werden – der ja nichts anderes ist als vom Tod verwandelter Traubensaft.
(Und sage mir einer, die Welt brauche keinen Wein oder wüsste sein Loblied nicht zu singen!).
Nun, das endgültige Ende ist meist nicht das, wovor “Ältere” wirklich Angst haben, wenn sie ihr Alter lieber nicht angeben und zum Thema schweigen. Es ist vielmehr die Angst, nicht mehr mitspielen zu dürfen, nicht ernst genommen zu werden, keine Anerkennung mehr zu erfahren – die Angst vor dem Verlust der sozialen und erotischen Attraktivität. Dahinter erst steht die Angst vor dem Kontrollverlust, der droht, wenn in der finalen Phase – wenn “die Maschinerie” zum Zuge kommt – jegliche Selbstbestimmung abhanden kommt, wir gar nichts mehr “machen” können, sondern nur noch mit uns gemacht wird.
Und dann der Fitness-Stress…
Während die meisten Älteren über ihre jeweiligen Ängste lieber schweigen, um sich keine Blöße zu geben, hat die Werbewirtschaft entdeckt, dass es ein Leben jenseits der 50, 60, 70 gibt, das mehr ist als Kaffeefahrten mit Heizdecken-Erwerbspflicht. Mit Macht ist sie dabei, ihre So-sollt-ihr-sein-Bilder in die medialen Räume drücken, und zwar genau so, wie man es schon vom Kampf um die schlanke Linie kennt, wo Hungerharken, denen die Knochen ungepolstert aus dem Leib stehen, das Ideal vorgeben. SCHÖNE, fitte, schlanke „Ältere“, wohin man schaut, keine Alten.
Unser Lachen wird Euch begraben! – ein Spruch, der in meiner politisch bewegten Jugend den Vertretern des Status Quo (“die Herrschenden”) gerne entgegen gehalten wurde. Es ist vielleicht an der Zeit, ihn auch einmal zu verwirklichen, selbst wenn es keine fassbaren “Herrschenden” mehr gibt, sondern nur den diffusen Zeitgeist, dessen Mächtigkeit so groß ist, weil er bis in unser Innerstes hinein ragt.
Herzhaft lachen kann man aber nur, wenn auch weinen erlaubt ist. Wer beim “Ich-doch-nicht” stehen bleibt, kann weder das eine noch das andere.
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19 Kommentare zu „Alter, Sprache und das Bewusstsein des Endes“.