Man muss es ja dazu schreiben: es geht in diesem ganz besonderen Film von Andreas Dresens eben nicht nur um Sex im Alter. Zwar landen Inge (Mitte 60) und ihre Affäre Karl (76) recht schnell auf dem Teppich, und auch im weiteren Verlauf wird recht viel (alte) Haut gezeigt. Im Grunde aber geht es um die Liebe und darum, ob man sich „im Alter“ nochmal verlieben darf.
Natürlich fragt Inge nicht danach, als sie sich in Karl verliebt. Und ihre Probleme beginnen auch erst, als sie die neue Liebe ihrem Mann gesteht, dem sie sonst nicht mehr in die Augen sehen könnte. Für Werner, der seit 30 Jahren mit Inge verheiratet ist, bricht eine Welt zusammen – eine Welt, in der Inge aber offensichtlich eine Art „Dummchen“ darstellte: zwar an seiner Seite, aber keine Partnerin, mit der man auch über die Inhalte spricht, die in der Morgenzeitung stehen.
Werner rastet dennoch aus, da schützt ihn keine Altersweisheit. „Ich hab‘ gedacht, wenn man 30 Jahre zusammen lebt, kann man über sowas vernünftig reden, wenn es halt mal passiert“, sagt ihm Inge, die trotz aller gefühligen Verstrickungen jetzt weit klarer wirkt als der konsternierte Rentner. „In deinem Alter!!!“ist sein Hauptvorwurf, auf den Inge nur antwortet, „das“ sei unabhängig davon, ob man 16, 26 oder 66 Jahre alt sei.
Die Filmkritik feiert den Tabu-Bruch
Alle Kritiken, die ich bisher über den schon 2008 erschienenen Film gelesen habe, loben vor allem den Bruch der Konvention, nur schöne junge straffe Körper beim Sex zu zeigen. So heißt es z.B. auf video.de, einer Plattform, die den Film vertreibt:
„Urplötzlich hat sie Schmetterlinge im Bauch wie eine 17Jährige. Das Objekt der Begierde ist kein jüngerer Mann, wie man erwarten möchte, sondern Karl, fast 76 und kein bisschen weise. Sie halten nicht nur Händchen sondern haben Sex, nicht unter der Decke oder mit Weichzeichner, sondern auf dem Teppich oder in der Badewanne. Die Kamera bleibt ihnen nahe, scheut sich nicht, welke Haut, graue Schamhaare oder Altersflecken zu zeigen, Körper, die nicht Sonnenstudio gebräunt oder Fitnessstudio gestählt sind. Ganz einfach Individuen, die ihren Empfindungen folgen, sich nicht der herrschenden Vorstellung von Alter unterordnen, sondern es noch einmal wagen, gegen jede Konvention. „
Hier mal der berühmt gewordene Ausschnitt mit dem Witz über den Sex der 80-Jährigen:
Das „Tabu-brechende“ am Film war allerdings nicht das Hauptanliegen des Regisseurs, der in einem Interview mit SPIEGEL Online sagt:
Dresen: … „Wolke 9“ ist eine Geschichte darüber, dass man sich nicht zu sicher sein soll in seinen Verhältnissen, über die archaische Kraft der Liebe. Und die ist eben nicht nur ein schönes Hochgefühl, sondern kann auch eine Menge Schmerz bereiten. Ich gebe zu, das weiß man nicht erst mit 70. Jeder kennt es, der sich schon mal unglücklich verliebt hat. Aber auch im Alter kann einen diese Erfahrung noch treffen.
Nun gut bzw. was die „unglückliche Liebe“ angeht: gar nicht gut! Eigentlich erwarte ich vom vorgerückten Alter tatsächlich mehr Pragmatismus, weniger Egozentrik und mehr Gelassenheit. Also auch die Fähigkeit, erotische Eskapaden des Partners zu verkraften, ohne daran zu zerbrechen. Natürlich geht das nur, wenn auch eine lebendige Beziehung besteht, und das Gegenüber nicht – wie in Werners Welt – den Stellenwert eines menschlichen Einrichtungsgegenstandes hat: gut für die Gemütlichkeit, aber nicht wirklich eine Partnerin auf Augenhöhe.
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Mehr dazu:
Wolke 9 – die Webseite zum Film;
Wolke 9 – Teil 1 auf Youtube, wo sich dann auch alle anderen Teile finden;
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12 Kommentare zu „Sex und Verliebtheit im Alter: Wolke 9“.