Warum Altern und Leben beides
ein und dieselbe Kunst sind
Ziehen wir ein (vorläufiges) Fazit. Altern ist Sterben, und davor graut uns. Also tun wir entweder so, als gäbe es das nicht, oder behaupten, es wäre alles nur halb so schlimm (und damit fast schon doppelt so gut), wenn man nur gut aufpasse.
Eine Kunst ist das sicherlich nicht. Auch keine wunderbare Aussicht auf eine glorreiche Zukunft. Es ist eigentlich nur eine ganz einfache, menschliche Reaktion auf etwas, dem wir zwar nicht ausweichen können, das uns aber noch eine gewisse Zeit läßt, bevor es hart und endgültig zuschlägt. Wie das Pfeifen im Wald in der Dämmerung oder das Zukneifen der Augen in der Achterbahn oder die Hoffnung, jemand anderes würde alles schon richten, wenn es dir gerade kaputt gegangen ist und du rein gar nichts mehr zusammen kriegst.
Ich denke, die Kunst des Alterns kann, so es sie überhaupt gibt, nichts anderes sein als die Kunst des Lebens. Welches ja Altern ist. Und umgekehrt. Das Leben aber anzuschauen, das ist doch erheblich tröstlicher, als sich wie ein Kaninchen vor der Schlange nur dessen unausweichliches Ende vor Augen zu führen.
Wobei, genau genommen habe ich mit der allenthalben gern kolportierten Aussage, nur der Tod sei gewiß, schon meine Probleme. Denn mir fehlt dafür jeder für mich evidente Beweis. Rein empirisch gesehen bin ich noch niemals gestorben. Was die Hypothese, ich lebte nicht ewig, auf jedem denkbaren Signifikanzniveau falsifizieren dürfte. Und das wahrscheinlichkeitstheoretisch bestens untermauert. Auch rein logisch sehe ich keinen zwingenden Grund dafür, jemals sterben zu müssen. Das ‚Alles sei endlich‘ ist ein ebenso willkürliches Axiom wie das ‚Alles bleibe für immer‘. Jedenfalls, wenn man sich rhetorisch geschickt solcher netten, gedanklichen Konstrukte wie jener der Metamorphosen, der Eigentlichkeit oder des Wesentlichen bedienen möchte.
Dennoch nehme ich, um nicht allzu sehr bei meinen Mitmenschen anzuecken, in der Öffentlichkeit meistens an, daß auch ich sterblich sei. Ich will ja keinen Neid erwecken und mit meiner Umwelt eher friedlich und möglichst harmonisch zusammen leben. Was übrigens in der Tat eine Kunst ist, womit ich so gerade noch – und zum Glück für diesen Text – den Bogen zurück bekommen habe und auf wenigstens ein erstes Kriterium gestoßen bin, das die Kunst des Lebens von ihrem Gegenteil unterscheiden helfen könnte.
Warum es den Lebenskünstler aus und für sich nicht gibt
Zugleich stößt dabei auf, daß wir ‚Leben‘ wohl besser nicht als etwas anschauen sollten, das wir ganz für uns allein hinkriegen. Eine Binsenweisheit, die mir oft vergessen zu werden scheint. Immerhin werden wir alle ja – so wird glaubhaft behauptet – von einem anderen Menschen, nämlich unserer Mutter, geboren, und das auch in der Regel nur, nachdem diese ein paar nette Augenblicke mit wieder einem anderen Menschen, unserem Vater, verbracht hat.
Und dann muß man uns lange füttern und kleiden und säubern und pflegen, bis wir entweder unser eigenes Geld verdienen oder Partner finden, die das für uns erledigen. Und auch dann sind wir unentwegt dahinter her, nicht zu lange und zum falschen Moment allein zu sein, sondern rennen, wenn es sein muß, auch ganz gerne anderen Leuten nach, um ihnen schön nahe zu sein und überhaupt.
Kurz, die Kunst des Lebens hat offenbar viel mit dem zu tun, was Menschen miteinander und füreinander (und manchmal auch gegeneinander) bedeuten und machen. Weswegen ich sofort mißtrauisch werde, wenn ich jemanden als Lebenskünstler sich bezeichnen oder bezeichnet werden höre. Das erinnert mich zu sehr an den Starkult um das einsame Genie, der innerhalb der Künste schon immer sein Unwesen trieb.
Für mich ist Lebenskunst eine Eigenschaft von Lebensumständen, nicht von einzelnen Menschen. Die sicherlich im Idealfall diese Umstände bewußt bestimmen sollten, heißt es. Aber manchmal bin ich mir da gar nicht so sicher. Wenn das Leben exakt so wäre, wie ich es mir gerne ausmale, käme bestimmt manches zu kurz. Da fügt es sich sehr glücklich, daß ich nicht volle Kontrolle habe. Und auch andere Menschen nicht.
Andererseits ist es keineswegs gut, wenn die Umstände irgendwelchen dunklen Machenschaften (ob sie nun Geld oder Gott heißen) allein unterworfen sind. Mein eigener Anteil daran, wie die Dinge um mich herum laufen, sollte schon für mich erkennbar sein, und ich mag es auch, wenn ich mich hier und dort verwahren oder schützen oder entziehen kann.
Dagegen, daß körperliche und geistige Kräfte schwinden, gibt es allerdings wenig Schutz. Nur die im Grunde aber eher untaugliche Abhilfe, sie durch fremde Kräfte zu ersetzen. Ein bloßes Aufhalten, das am Ende unter dem Titel Pflege und vorher unter dem der Gemeinschaft läuft. Und letztlich auf die Abhängigkeit des Einzelnen von den vielen anderen Einzelnen verweist. Was all diesen wiederum eine gewisse Verantwortlichkeit füreinander aufbürdet. Zu der ich auf jeden Fall zählen würde, anderen Menschen nicht zu heftig und zu lange auf die Nerven zu gehen. Weswegen dieser Text, bevor er genau das tut, hiermit schlicht und einfach – endet.
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CK: Ich danke SuMuze (Jg. 1978) für diesen leidenschaftlichen Gastbeitrag! Wer mehr von ihr lesen will, möge ihr Blog “SumuZe” besuchen, das besonders für Lyrikfreunde eine beliebte Adresse ist.
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44 Kommentare zu „Zur Kunst des Alterns“.