Wie sich dem Altern gegenüber zu stellen wäre
Dagegen, mit dem Altern oder genauer der Angst davor Geld zu verdienen, spricht an sich nichts. Außer vielleicht der etwas bornierte Stolz eines Ego, welches gerne hinter alle Dinge schauen können möchte, also auch hinter die gängigen Illusionen der Gesellschaft. Um dann am Ende doch auf die eine oder andere herein zu fallen. Warum auch nicht?
Allerdings fragt auch ein solches, extrem angeberisches und in sich selbst verliebtes Ego schon manchmal danach, ob es denn eine ‚Kunst des Alterns‘ geben könne und, dies einmal bejaht, wie die dann aussehen würde. Schauen wir uns daher den Kladderadatsch einmal genauer an.
Als erstes sollten wir einmal die Frage danach, wie richtig zu altern sei, auf die richtige Weise stellen. Da das Altern ein von uns nicht aufzuhaltender und auch ohne unser Zutun ablaufender Prozeß ist (wie die Verdauung), haben wir, wenn überhaupt, nur zwei Chancen. Die eine betrifft die Art und Weise des Alterns und die andere, wie wir uns dazu stellen.
Ersteres halte ich für ziemlich belanglos. Sicherlich ist ein Glas frisch gepresster Orangensaft an und für sich ‚gesünder‘ als ein Glas Wodka. Es sei denn, die Orangen wurden zu heftig gespritzt. Oder das Saftglas ist nur die moralisch notwendige Einleitung zu einer ganzen Reihe ihm auf dem Fuße folgender Schnapsgläser. Ähnliches trifft sicherlich ebenso gut auf alle ‚gesunden‘ Lebensmittel und ‚fit‘ machenden körperlichen Bewegungen zu.
Nehmen wir daher einfach an, daß es zur Kunst des Alterns gehören muß, stets eher das zu tun, von dem wir glauben, es wäre unserem Körper und unserem Geist zuträglich – und alles andere nach Möglichkeit zu meiden. Mehr läßt sich dazu nicht sagen, und allzu viel Effekte würde ich von solchen Maßnahmen auch nicht erwarten. Alldieweil etwa die Meinungen von Medizinern und Schamanen oder bodenständigen Nachbarinnen zu diesem Thema immer wieder weit auseinander klaffen und sich im Lauf der Zeit unentwegt ändern.
Die andere Chance dagegen bietet viel mehr Angriffsfläche. Es kommt eben doch, so glaube ich, mehr darauf an, wie wir die Wirklichkeit interpretieren, und weniger, wie wir sie verändern. Jedenfalls dann, wenn an ihr kein Weg vorbei zu gehen scheint oder mögliche Veränderungen in ihr vom gemeinsamen Handeln zu vieler Menschen abhängig wären.
Woraus die Kunst des Alterns bestehen könnte
Fragen wir uns also, ob die Kunst des Alterns (eine möglichst optimale Gesundheitsvorsorge einmal vorausgesetzt) nicht darin bestehen könnte, daß wir uns dem Altern gegenüber aufgeschlossener, freundlicher, insgesamt halt positiver geben. Bis wir es eines Tages vielleicht sogar tatsächlich sind. Gewohnheit schafft Tatsachen, und was wir uns nur lange genug vorspiegeln, nimmt irgendwann vielleicht Gestalt an.
Ich denke dabei sofort an Gespräche mit älteren Menschen, die dir im Brustton der Überzeugung versichern, daß sie ‚NIE WIEDER SO JUNG‘ sein wollen. Wobei ‚JUNG‘ dabei nur ein Platzhalter für eine gerade zur Debatte stehende Altersstufe ist. Oft ist das die Pubertät oder die Schul- bzw. Studienzeit oder die Zeit der Berufsfindung. Meistens sind Menschen, die so etwas sagen, noch nicht so alt, daß sie sich als ganz aus dem Rennen (Beruf, Gesellschaft oder Sex) befindlich sehen. Andererseits meinen sie in der Regel, durchaus ‚ETWAS‘ erreicht zu haben im Leben (Urlaub und Freizeit, Haus und Wagen, Kleidung und Manieren, nicht zuletzt Bekannte und Freunde beweisen ihnen das). Weswegen ihre Aussage, nie wieder so jung sein zu wollen, für mich nur das eine bedeutet: daß sie das Risiko scheuen, noch einmal zum Rennen antreten zu müssen. Was ja durchaus mit einem der hinteren Plätze ausgehen könnte.
Dann gibt es Menschen, die mit gelassener Sicherheit (oft das Rotweinglas in der Hand) sich ins Polster zurück lehnen und dir versichern, sie würden jeden kommenden Tag ihres Lebens genießen und sich geradezu diebisch darauf freuen, immer älter und älter zu werden. Falls sie keine Deppen sind, die das offen und laut auf den Konsum von allerlei Genußmitteln oder das Durcheilen von kunsthistorisch bedeutsamen Stätten und Museen oder das andächtige Lauschen auf die inhaltsschwangeren Äußerungen von ihnen altersmäßig nahestehenden Kulturschaffenden beziehen, suggerieren sie dir damit gerne, daß sie beharrlich und täglich Weisheit und Abgeklärtheit akkumulieren, welches den Rest ihres Lebens zu einem zufriedenen Dahingleiten auf einer stets bergauf führenden Bahn macht.
Falls du die Gelegenheit bekommst, sie dabei ein Stück Weges zu begleiten, wirst du schnell merken, daß sie leider Gottes selten etwas anderes als die oben schon genannten Deppen tun. Sie nennen es nur anders. Peinliche Zwischenfälle wie Erkrankungen auf den Tod (der berüchtigte, plötzlich diagnostizierte Krebs) oder Unfälle (beim Ski oder Radeln etwa) bringen sie genau so durcheinander wie jeden anderen auch. Und nichts ist es dann noch mit ihrer angeblich gesammelten Gelassenheit und Abgeklärtheit.
Andere Menschen stehen schon fast jenseits der Schwelle und am Ende des Alterns. Manche von ihnen, so hoffe ich, sollten tatsächlich klarer sehen, was Leben und Altern betrifft. Damit meine ich natürlich solche Menschen, die in der Tat bereits richtig alt sind. Älter vielleicht sogar, als ihnen ihre soziale Umgebung zubilligt. Weswegen du sie meistens in für die Zwecke dezenter Verwahrung gut abgegrenzten Räumlichkeiten wie Altersheimen (mit schönen Gartenflächen ringsum) oder Krankenhäusern (vorübergehend, versteht sich) oder nicht gleich neben der Eingangstür liegenden Zimmern (mit schönem Blick in den Garten) findest.
Sofern bei ihnen nicht Abgeklärtheit mit einer stark reduzierten Fähigkeit zur Kommunikation in eins fällt (nichts wirkt so klug wie Schweigen, egal, warum jemand den Mund hält), sind sie vielleicht ehrlicher als manch anderer Mensch, der sich noch diesseits besagter Schwelle wähnt. Allerdings läuft der Umgang mit ihnen (falls du sie nicht aus beruflicher oder privater Pflicht zu versorgen hast) stets Gefahr, auf ihrer Seite in eines von zwei extremen Verhaltensmustern abzugleiten.
- Das eine ist eine hündische Dankbarkeit, daß du dich (als Jüngere) überhaupt ihnen (als Alte) widmest. Welche alles, was du tust oder sagst, gleichermaßen heilig spricht. So etwas schmeichelt dir selbst gewaltig und fühlt sich daher an, als wäre dein Gegenüber bereits jenseits von Gut und Böse, während du selbst sozusagen im puren Guten badest. Hat aber mit irgendeiner Kunst des Alterns so viel zu tun wie die Geschichten, die ertappte Sünder ihren Richtern und Henkern auftischen, um davon zu kommen.
- Das andere ist der kindische Trotz, daß du dich (als dazu Fähige) gefälligst um deine eigenen Sachen kümmern sollst, während sie (als Unfähige) damit schon irgendwie klar kommen werden. Und dich, falls du dich wider besseres Wissen doch um sie kümmern solltest, dafür auf keinen Fall etwa in den Himmel loben werden. Dies macht zwar die Beziehung zum anderen, vor allem zum alten Menschen spannender und unterhaltsamer, ist in meinen Augen aber auf ihrer Seite eher eine Kunst der Verkindlichung als eine des Alterns.
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
44 Kommentare zu „Zur Kunst des Alterns“.