Wie sich vor dem Alter und dem Tod
zu schützen versucht wird
Das Alter. Das ist nur ein Wort für all das, was bloß in dir steckt, aber noch nicht Gestalt bei dir angenommen hat. Das Alter ist das, was sich erst noch jenseits der Berge zusammen braut. Das Unbekannte, das ganz Andere, das ganz Fremde. Nennen wir es ruhig bei seinem unbeholfeneren Namen: der Tod.
Das Alter, das ist der Tod. Wir alle lügen uns gerne um diesen Namen herum, wenn wir über unser Alter nachdenken. Noch viel mehr, wenn wir darüber mit anderen Menschen klug schwätzen. Wir alle lieben die Märchen vom aktiven Altern, vom erfüllten Leben und von den geruhsamen Schätzen, die jenseits der Zeit von Pubertät und Partnersuche auf uns warten. Wir reden davon, daß es Sex auch mit Sechzig (oder mehr) geben werde, daß der Rausch der Gefühle (genauer: das freie und muntere Kreisen des Blutes in den Gefäßen, im üblichen Sprachgebrauch als Glück bezeichnet) keine Frage der Semipermeabilität der Zellwände sei und daß das wunderbare und nach vorn schauende Denken nichts mit unserer Fähigkeit, Nahrung zufriedenstellend und schmerzfrei kauen zu können, zu tun habe.
Altern ist Tod – Altern ist Sterben
Das aber ist alles Firlefanz und lenkt nur ab. Alter aber ist Tod, nichts anderes, und Altern ist Sterben. Gäbe es einen Weg, sein Alter gegen Jugend zu tauschen, würde kein Gesetz, keine Schweizer Garde, kein Gott und kein Teufel die Menschen davon abhalten, das immer wieder und unter allen Umständen und zu jedem Preis zu versuchen.
Im Kleinen tun die Menschen es andauernd. Nehmen wir nur das Geld. Die angehäufte gesellschaftliche Macht der Menschen. Wozu wird es am Ende genutzt, fällt es in die Hände von Menschen, die gerade ob des prallen Luxus ihres Lebens das Alter wie der Teufel das Weihwasser fürchten? Wofür geben alle Reichen dieser Welt auf lange Sicht gesehen ihr vieles Geld am ehesten aus?
Natürlich für das Leben verlängernde Maßnahmen. Mögen sie auch noch so wenig effektiv sein. Hauptsache, sie verheißen das, was gar nicht möglich ist. Je mehr sie versprechen, desto eher wird ihnen geglaubt.
Wir kennen sie alle, die Alten und Siechen, aber dennoch um so ungehemmt Konsumkräftigeren und vor allem -willigeren, die dem Sensenmann nur zu gern von der Schippe springen wollen. Die sich wieder und wieder junges Fleisch ins Bett einkaufen, als färbte das auf das ihre ab. Die jede sündhaft teure Medizin bezahlen und schlucken, können sie sich von ihr nur wahre Wunder erhoffen. Und die jedes noch so alberne Gerät erwerben, das ihrem Körper Straffheit und Gesundheit verspricht. Mit vollen Händen kaufen sie sich für Sekunden (im Falle des Bettes) oder Minuten (in den anderen Fällen) frei von der bedrückenden Last des Alterns.
Aber auch der solide Mittelstand läßt sich nicht lumpen:
- Heutzutage kannst du auf keiner Bergspitze in Ruhe den schönen Ausblick in die Gegend genießen, ohne daß eine Bande widerwärtig gekleideter, ausgemergelter Männer im Alter zwischen 30 und 50 schwitzend und keuchend auf Rädern im Wert eines soliden Gebrauchtwagens an dir vorbei rast. Gehetzt von Freund Hein und seinen von ihnen so sehr gefürchteten Attacken auf ihre Arterien und Schwellkörper und Sehnen und Schleimbeutel.
- In keinem dezenten Club kannst du noch still und ungestört zu sanfter Musik abhängen, ohne daß dir an lauter kaum noch lebendigen Leibern vor Augen geführt wird, was eine Industrie, gegen welche sämtliche Alchemisten der Menschheitsgeschichte wie die Hüter von Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit erscheinen, an mehr oder weniger nutzlosen Produkten gegen das unschöne Altern feil bietet.
- Nimm dir nur einmal eines dieser besseren Heimtrainerkerlchen zur Brust (oder dorthin, wo du es nur irgend ertragen kannst). Rundum ist jeder Muskel definiert und die Haut gesalbt, als ginge es zur Krönung und nicht ins Bett. Die Haare sind mit der Schublehre geschnitten und alle Bewegungen so kraftvoll und einstudiert wie beim olympischen Reißen und Stoßen jenseits der Hundert Kilo Marke. Selbst die Wahl des richtigen Weines zum Fick stimmt unter Garantie und zu Tausend Prozent.
- Oder setz dich am frühen Nachmittag in eines der noblen Cafés für die bessere Gesellschaft der Stadt. Schau dir dort die Gesichter der erfolgreich tätigen Geschäftsfrauen oder noch erfolgreicher verheirateten Hausfrauen an, die kein Sandstrahlgebläse mehr anrühren und kein Boschhammer mehr beeindrucken kann. Lausche auf die Worte, Halbsätze, Untertöne, achte auf die Blicke und das Zucken der Münder und das Krampfen der Finger, wenn sie voreinander mit ihren Erfolgen beim Leben in der hellen Sonne protzen.
Da gibt es keinen Zweifel – du bist Zeuge eines atemlosen Rennens, wie es grausamer kaum denkbar erscheint. Verlogener ebenfalls nicht. Denn was wird dir, falls die Rede einmal darauf kommt, von eben diesen Leuten als die hehre ‚Kunst des Alterns‘ angeboten?
Da haben wir die vielen wohltuend entspannenden Aktivitäten mit ihren angeblichen Auswirkung auf den langsam sich zersetzenden Leib. Fitness, Wellness, gesunde Ernährung, Yoga oder andere fernöstliche, möglichst noch seltenere und noch ferner fernöstliche Weisheiten. Und all die Anweisungen zu meditativen Versenkungen und, als kleines Add-on, oft unangenehm stinkende Steine oder Maskottchen, die überall im Haus verteilt den von Allergien geplagten Gast nicht entrinnen lassen. Kurz – der Versuch, auf der atemlosen Flucht vor dem Tod auch einmal eine angenehme Pause zum Atemschöpfen einzulegen. Was gerne als ruhige Gelassenheit (wegen des momentanen Stillhaltens) oder als innere Selbstfindung (dank Befolgen der richtigen Hinweistafeln) bezeichnet wird.
Oder die zehn und eine halbe Millionen aufregenden Aktivitäten mit positiver, weil extrem trainierender Wirkung auf die Leistungsfähigkeit des viel zu schnell mit seinen Kräften nachlassenden Körpers. Sport (mit teurer und modischer Spezialausrüstung), Sex (mit teuren und der Mode entsprechenden Partnern), sowie geheimnisvolle Substanzen zur inneren wie äußeren Anwendung, die verlorene Kräfte und Energien mobilisieren (mit teuren und abenteuerlich klingenden Wirkstoffkombinationen).
Endlich all die bunten Verkleidungen, die geschickt leugnen sollen, was hinter ihnen unaufhaltsam zerfällt: modernste Wohnungen und Häuser, Autos und Klamotten nach dem neusten Schrei, angesagte Ferienorte und Geheimtipps zum Chillen und Futterfassen sowie Kosmetik und Maske mit wissenschaftlich nachgewiesenem Effekt.
Wirksam ist das alles natürlich überhaupt nicht. Es ist ja auch keine Kunst, sondern nur der Konsum von Dingen, die geschäftstüchtig angeboten werden. Und beim Geschäft, das weiß jedes Kind, geht es um Werte und nicht um Gebrauchswerte.
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